Der MP Impuls zum Wochenende

Meine Klientin war angeschlagen. Sie befand sich in einem emotionalen Tief und ihr Hausarzt hatte sie krankgeschrieben. Nun saß sie in meinem Coachingraum und ich konnte ihr ansehen, dass ihr viele Dinge durch den Kopf gingen, die sie belasteten.

„Wenn wir beide zusammenarbeiten, wofür?“, fragte ich sie zum Einstieg in unser Coaching. Dann sprudelte sie los. Sie habe auf der Arbeit keine Erfolgserlebnisse. Ihr Chef sei so ein schwieriger Mensch, der gar keine Menschen führen könne. Sie bekomme keine Anerkennung für ihre Arbeit, könne sich nicht ausreichend entfalten und habe auch Stress mit den Kolleginnen und Kollegen. Die ganze Situation belaste sie sehr. Ich stellte noch ein paar Verständnisfragen und bat sie dann, ihr Ziel zu formulieren. Im Mittelpunkt ihres Zieles stand ihr Chef, der sich verändern sollte… .

„Sehen sie sich um, was fällt ihnen auf?“, bat ich meine Klientin und sie schaute fragend durch den Raum. „Ich weiß nicht, was Sie meinen?“, war ihre Antwort. Ich lächelte und schwieg und so langsam kam sie dahinter, was ich wohl meinte. „Ahh“, sagte sie, „mein Chef ist nicht hier!“

Genau so war es! Sie hätte so gerne ihren Chef geändert, doch der war weder anwesend, noch war er mein Coachingnehmer. Ich bat sie daher, ihr Ziel nochmal zu überarbeiten, so dass sie selbst im Mittelpunkt des Zieles stand. Es war eine erste wichtige Intervention, in der sie sich klar werden musste, worum es ihr wirklich ging. Sie suchte ihr Problem, damit sie es anschließend bearbeiten konnte.

Die neue Zielformulierung Klang schon viel offener und fokussierte nicht mehr auf ihren Chef. Das war gut so und es ermöglichte uns, in dieser ersten Coachingsitzung mit der Arbeit zu beginnen und das ein oder andere grundsätzliche Muster zu besprechen, welches sie emotional immer wieder belastete.

Als sie zum nächsten Coachingtermin kam, ging es ihr noch schlechter als zu Beginn. Wir verließen meinen Coachingraum und machten einen langen Spaziergang an unserem schönen See entlang und sie erzählte sehr viel von ihrem Ehemann und den Problemen, die es aktuell in ihrer Beziehung gab. Das waren viele und für den aufmerksamen Zuhörer wiesen ihre Probleme auffallend viele Parallelen zu den Schilderungen auf, die im ersten Termin ihren Chef beschrieben hatten. Es ging um abwertendes Verhalten, dominantes Auftreten, fehlende Anerkennung und Wertschätzung und mangelnde Augenhöhe. An diesem Tag war sie nicht wirklich arbeitsfähig, so dass ich meine Interventionen auf einige Fragen und Bewusstseinserweiterungen in der Natur beschränkte.


Ich kürze die Geschichte an dieser Stelle ab, denn weitere Details sind nicht von Belang. Ich arbeitete einige Sitzungen lang mit ihr, konnte sie stabilisieren und hatte schließlich das Gefühl, dass der Knoten zwar nicht wirklich geplatzt war, es ihr jedoch deutlich besser ging als vor unserer Zusammenarbeit. Sie wirkte arbeitsfähig und stabil, so dass wir unser Coaching beendeten. Ihr Mann hatte im Coaching immer wieder eine Rolle gespielt und sie hatte stets betont, dass es für sie nicht infrage komme, ihren Mann zu verlassen. Sie nahm sich vor, Gespräche mit ihm zu führen, ihm sein Verhalten zu spiegeln und die Techniken, die ich ihr im Hinblick auf ihren Chef vermittelt hatte, auch gegenüber ihrem Mann anzuwenden, so dass sie mit seinem Verhalten besser zurechtkommen würde.

Einige Monate hielt ich mit meiner Klientin noch Kontakt, um zu hören, wie es ihr ging. So richtig begeistert war ich nie nach unseren Telefonaten denn sie wirkte zwar nicht mehr so niedergeschlagen wie zu Beginn unserer Arbeit, aber Begeisterung oder Freude lagen ebenfalls nicht in ihrer Stimme. Danach verlor ich sie irgendwann aus den Augen, denn unser Kontakt brach ab.

Etwa zwei Jahre später bekam ich über eines meiner sozialen Netzwerke eine völlig überraschende Nachricht auf einen Post, den ich geschrieben hatte. Einen Moment lang musste ich überlegen, wer das war, der mir so euphorisch schrieb, wie gut dieser Post doch gelungen sei. Es war meine damalige Klientin und so nahm ich den Gesprächsfaden mit ihr wieder auf.

Sie lebte inzwischen in einem anderen Teil Deutschlands und hatte den großen Schritt gewagt, ihren Mann zu verlassen. Sie hatte ihren Job gekündigt und mehrere hundert Kilometer entfernt neu angefangen. Sie war wie verwandelt, strahlte positive Energie und Lebensfreude aus und war gegenüber der Frau, mit der ich vor Jahren gearbeitet hatte, kaum wiederzuerkennen. Das war für mich ein wunderbarer Moment.

Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie es irgendwann mit ihrem Mann nicht mehr ausgehalten und für sich selbst erkannt hatte, dass sie sich befreien musste. Es war aussichtslos gewesen, darauf zu hoffen, dass ihr Mann sich änderte. Sie passten einfach nicht mehr zusammen und sie hatte jahrelang gelitten, weil sie für sich keinen Weg gefunden hatte, mit seiner Art klarzukommen. Als sie erkannt hatte, dass sie den Schritt der Trennung gehen musste, um in die Freiheit zu gelangen, packte sie ihre Koffer und zog aus. Das war inzwischen bereits viele Monate her und die Scheidung stand kurz bevor. So schwer dieser Schritt für sie auch gewesen sein mochte, heute war sie ein ganz anderer Mensch – befreit und glücklich.


Die Geschichte meiner Klientin bietet gleich zwei Ansätze, von denen wir als Denkanstoß profitieren können.

Schon häufiger ist es mir in meiner Arbeit so ergangen, dass Klienten mit dem Wunsch zu mir kamen, eine andere Person möge doch ihr Verhalten ihnen gegenüber ändern. Das ist grundsätzlich nicht möglich, denn die andere Person ist nicht im Raum und ich kann mit ihr nicht arbeiten. Klienten können immer nur ihr eigenes Verhalten gegenüber dieser Person ändern und hoffen, dass dies auch zu einer Änderung des Verhaltens ihnen gegenüber führt. Zusammenarbeit zwischen Menschen ist immer eine Frage von Aktion und Reaktion. Wie im Beispiel meiner Klientin ist allerdings oft die genannte Person gar nicht die eigentliche Ursache, sondern nur eine Projektion eines Verhaltens, welches von einer anderen Person ausgeht, die die eigentliche Belastung darstellt. Meine Klientin erkannte in ihrem Chef die Wesenszüge ihres Mannes wieder und fühlte sich dadurch unterdrückt und belastet. Die eigentliche Problemursache war ihr Chef jedoch nicht.

Den zweiten Denkanstoß aus dieser Geschichte können wir zweifelsohne aus dem zögerlichen Verhalten meiner Klientin ziehen, so nachvollziehbar und anerkennenswert es auch ist. Ich möchte ihr sogar mit ausgesprochener Wertschätzung dafür begegnen, dass sie lange an ihrer Ehe festgehalten hat und nicht bereit war, diese bei den ersten auftretenden Problemen aufzugeben. Meine Klientin ging sogar so weit, schwerwiegende, gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf zu nehmen, um an der Beziehung zu ihrem Mann festzuhalten. Diese Form der Selbstaufopferung ist allerdings ein Schritt zu weit. Umso mehr muss man ihr zu Gute halten, dass sie es schließlich geschafft hat, sich aus dieser Beziehung zu befreien, den ersten wichtigen Schritt zu tun und auszuziehen. Dieser erste Schritt ermöglichte ihr zu erkennen, was sie wirklich brauchte, um ein glücklicheres Leben zu führen. Sie befreite sich von der täglichen erlebten Belastung und war bereit, neue Möglichkeiten zu entdecken, sich beruflich neu aufzustellen und fortan ein erfüllteres Leben zu führen. Auch dieses Muster ist mir inzwischen in meiner Arbeit häufig begegnet. Der erste Schritt ist oft unglaublich schmerzhaft und schwer, weshalb ihn viele Menschen nicht gehen. Ohne den ersten Schritt bleiben uns jedoch neue Erkenntnisse versagt und wir bleiben verhaftet in unseren alten Lebensbedingungen. Neue Wege beginnen immer mit dem ersten Schritt!

Nun können Sie also wählen welchen Reflexionsimpuls Sie aus dieser Geschichte für sich mitnehmen möchten. Vielleicht gibt es Menschen, deren Verhalten Sie besonders belastet. Das wäre vielleicht ein Anlass, zu hinterfragen, ob es wirklich diese Menschen sind, die sie belasten, oder ob diese Menschen nur Stellvertreter von jemand anderem sind, der in Wirklichkeit der Belastungsfaktor für Sie ist. Oftmals tun wir nämlich Menschen Unrecht, weil wir nicht erkennen, dass sie nur eine Projektionsfläche desjenigen sind, der wirklich unsere emotionale Belastung darstellt. Häufig verhalten auch wir uns dann gegenüber diesen Menschen nicht gerade positiv, was das Verhältnis weiter verschlechtert. In der Zusammenarbeit von Menschen ist alles eine Frage von Aktion und Reaktion. Gerade deshalb sollten wir uns fragen: Ist dieser Mensch wirklich das Problem oder steht er nur als Projektionsfläche für jemand anderen?

Vielleicht gefällt Ihnen aber auch der andere Reflexionsansatz besser, dann können Sie sich fragen, wobei Sie sich schon lange schwertun, den ersten Schritt zu gehen? Worüber haben Sie schon oft nachgedacht, es am Ende aber dann doch nicht getan? Was sind Ihre Dinge, die sie immer wieder aufschieben? Vielleicht fehlte Ihnen bislang der Mut, die Zeit oder andere Dinge waren noch wichtiger? Ohne den ersten Schritt aber geht es auf keinen Fall voran!


Für welchen der beiden Ansätze Sie sich auch immer entscheiden, ich wünsche Ihnen ein wunderschönes Wochenende!

Der MP Impuls zum Wochenende

Vor kurzem begegnete mir in dem Podcast eines Kollegen mal wieder die Geschichte des polynesischen Segelns. Die Entdeckung der vielen Südseeinseln durch die Polynesier ist eine faszinierende Geschichte. Das gilt sowohl in technischer Hinsicht als auch bezüglich der Navigation. Denn die Polynesier entdeckten die unzähligen kleinen Inseln vor tausenden von Jahren in einfachen Kanus bzw. Katamaranen und ohne jegliche Seekarten oder gar modernere Navigationsinstrumente. Wie konnten das Gelingen? Und vor allem, wie ist es ihnen gelungen, die vielen Inseln nach ihrer Entdeckung auch wiederzufinden?

Dieses Phänomen ist bis heute nicht vollständig erforscht und es gibt nach wie vor verschiedene Theorien. Ganz gleich, welche man bevorzugt, die Navigation der Polynesier bleibt faszinierend. Es gilt als sicher, dass sie ein überragendes Wissen über die Sternformationen am Himmel hatten. Sie beobachteten die Bewegungen des Wassers, die Wege der Fischschwärme, der Wale und Delphine sowie der Vögel. Sie beobachteten die Winde und die Natur ganz allgemein. Als sie aufbrachen, neue Welten zu entdecken, hatten sie nur zwei Dinge, die sie mitnehmen konnten:

Zum einen all ihr Wissen, das sie von ihren Vorfahren überliefet bekommen hatten und das sie durch eigene Beobachtungen und Erkenntnisse ergänzt hatten. Zum anderen das Vertrauen in sich selbst und ihre Mitreisenden, dass ihr Wissen und ihre Fähigkeiten sowie ihre Boote ausreichen würden, die Aufgabe zu bewältigen, der See zu trotzen und damit auch zu überleben. Mehr hatten sie nicht.

Manchmal erzähle ich die Geschichte des Polynesischen Segelns auch im Coaching.  Die Geschichte passt gut zu Klienten, die hadern, ob sie etwas tun sollen oder nicht. Klienten, die sich nicht sicher sind, ob sie etwas können oder nicht, Klienten, die sich nicht zutrauen, die an sie gestellte Aufgabe zu bewältigen. Für diese Klienten beginnt die Geschichte dann meist so:

Stell Dir vor, Du sitzt auf einer einsamen Insel im Pazifik fest und möchtest zurück nach Hause. Niemand ist da, der Dir helfen kann und niemand ist erreichbar, den Du kontaktieren und um Hilfe bitten könntest. Am Steg liegt lediglich ein Segelboot, mit dem Du die Heimreise antreten kannst. Navigationstechnik moderner Art gibt es nicht an Bord, Du hast nur Dich, Dein Wissen, Dein Können und das Boot. Eine andere Chance, diese Insel wieder zu verlassen und nach Hause zurückzukehren, gibt es nicht.


Nun also hat mein Coachingnehmer die Wahl: Für immer auf der Insel bleiben und damit das Ziel, wieder nach Hause zurückzukehren aufgeben oder allen Mut zusammennehmen, auf sich selbst vertrauen, das Boot besteigen und die Segel setzen. Dann gibt es die Möglichkeit, das Ziel zu erreichen. Eine Garantie dafür gibt es nicht.

Sie können sich sicher vorstellen, dass kaum jemand sofort und mit großer Euphorie ins Boot springt. Zu viele Unwägbarkeiten und Gefahren sind damit verbunden, zu viele Fragen schießen einem in den Kopf. Dass ist dann genau der Moment, in dem ich von den Polynesiern erzähle. Ihnen erging es exakt so!

Eines ist klar: Wer sich entscheidet, auf der Insel zu bleiben, verfehlt sein Ziel auf jeden Fall!

Deshalb machen Sie es wie die Polynesier: Vertrauen Sie auf sich, seien Sie mutig, nutzen Sie Ihr Wissen und Ihre Fähigkeiten, wagen Sie den ersten Schritt!

Nur so lassen sich neue Erfahrungen machen und neue Welten entdecken.

Starten Sie –

Der MP Impuls zum Wochenende

Es war eine spannende Präsentation der Kandidaten gewesen, von der mein Coachingnehmer, ein Bankvorstand, zu berichten hatte. In der Endrunde einer attraktiven Leitungsposition auf der ersten Führungsebene unterhalb des Vorstandes waren noch drei Bewerber übrig und das Auswahlgremium hatte sie nacheinander zum Gespräch gebeten.

Drei sehr unterschiedliche Bewerber hatten sich vorgestellt und als die Gespräche geführt waren, fiel die Entscheidung sehr schnell. Mein Klient hatte das Wort ergriffen und seine Meinung kundgetan: „Wir nehmen Richard, ist für mich ganz klar.“

Seine beiden Vorstandskollegen nickten heftig, nur dem Betriebsratsvorsitzenden, der mit beratender Stimme an der Sitzung teilnahm, entgleisten die Gesichtszüge. Nur mit Mühe konnte er ein „Ihr seid verrückt“ unterdrücken und trug dann mit sichtlicher Mühe seine Bedenken vor:

„Der kriegt ja die Zähne nicht auseinander, der kann niemals Menschen führen und schon gar nicht begeistern, den akzeptiert niemand…“, und so weiter.

Der Vorstand blieb bei seiner Entscheidung, das war jetzt mehrere Jahre her. In der Arbeit mit meinem Klienten war Richard im Laufe der Zeit immer wieder mal Thema gewesen. Wenn wir über ihn sprachen, dann immer nur positiv. Mein Kunde war mit ihm sehr zufrieden, die Mitarbeiter, die Richard führte, waren es auch. Der Bereich performte prächtig und immer häufiger wurde Richard eingeladen, die guten Ergebnisse der Bank auf Tagungen vorzustellen.

Richard war – so mein Klient – ein Volltreffer! Und wie ging es dem Betriebsratsvorsitzenden, der seinerzeit so gegen Richards Einstellung gekämpft hatte? Auch ihm ging es inzwischen mit dieser Entscheidung sehr gut. Richard hatte sich früh mit ihm zusammengesetzt und sie hatten besprochen, wie Richard auf den Betriebsratsvorsitzenden gewirkt hatte. Richard kam aus dem tiefsten Westfalen und war vom Typ her so „ganz anders“. Dieser erste Eindruck hatte Befürchtungen geweckt und Ängste geschürt. Als von den Mitarbeitern in Richards Team allerdings nach und nach die ersten positiven Rückmeldungen kamen, begann auch der Betriebsratsvorsitzende langsam, seine Einschätzung zu hinterfragen. Aber – nur langsam.

„Es dauerte mindestens ein Jahr, bis alle Bedenken ausgeräumt waren“, erzählte mein Coachingnehmer in einer Sitzung. Heute aber, nach drei Jahren, waren alle Bedenken ausgeräumt.

Es liegt in der Natur des ersten Eindrucks, dass wir zunächst mit aller Kraft versuchen, diesen zu bestätigen. Dieser erste Eindruck beim Betriebsratsvorsitzenden war seinerzeit negativ gewesen und er hatte erwartet, dass sich jetzt viele Dinge ereignen würden, die ihn genau in diesem Eindruck bestätigten. Wahrscheinlich hatte er es nicht nur erwartet, er hatte regelrecht nach Bestätigungen gesucht. Als diese ausblieben, war er dennoch skeptisch und nicht bereit, die positiven Signale so aufzunehmen, dass sie seinen ersten Eindruck sofort vergessen machten. Dafür brauchte es viel Zeit und immer wiederkehrende positive Erlebnisse. So ist das nun mal mit der Psychologie des ersten Eindrucks.

Aber Ende gut, alles gut, könnte schließlich sagen?
Ja, in diesem Falle ist das so!

Das sollte auch die Quintessenz dieser Geschichte sein: Nicht immer ist es gut, nach dem ersten Eindruck ein endgültiges Urteil über einen anderen Menschen zu fällen. So sehr der erste Eindruck oft stimmt, wir können auch irren. Deshalb urteilen Sie nicht vorschnell, auch jemand, der Ihnen im ersten Moment suspekt oder unsympathisch erscheint, hat eine zweite Chance verdient. Bedenken Sie: Auch Sie haben vielleicht mal einen schlechten Tag und hinterlassen bei jemanden einen schlechten ersten Eindruck.

Hätten Sie nicht auch gerne eine zweite Chance?

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Arbeitswelt und Führung: aktuelle Trends und Umfragen, Ausgabe 28.05.2021

Dass Deutschland in der Corona Pandemie digitaler geworden ist, wussten wir eigentlich schon. Nun legt allerdings die Initiative D 21 ihren jährlichen „D 21 Digital Index“ vor, aus dem wir das auch in Zahlen ablesen können. Für diesen jährlich erhobenen Index, der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützt wird, wurden 2000 Interviews mit Personen ab 14 Jahren durchgeführt. Der aktuelle Index ist um zwei Punkte auf 60 von 100 angestiegen. Die vier Komponenten dieses Index sind alle gestiegen. Einen besonders deutlichen Anstieg verzeichnen dabei der Zugang zur Digitalisierung mit plus vier Punkten und das Nutzerverhalten mit plus fünf Punkten. Maßgeblichen Einfluss auf diese Verbesserung hatte dabei auch die Art des Arbeitens, denn in 2020 arbeiteten rund ein Drittel der Beschäftigten zumindest teilweise von zu Hause aus. Das sind 17% mehr als im Vorjahr.

Die Corona Pandemie hat in den Unternehmen außerdem einen Flexibilisierungsschub ausgelöst. Der Flexibilitätsindex, den der Interim Management Anbieter Aurum Interim Management zusammen mit der CBS international Business School ermittelt, ist in den Coronazeiten von 3,67 auf 4,47 von maximal 6 Punkten angestiegen. Fast alle der genannten sechs Dimensionen, aus denen sich der Index zusammensetzt, haben zugelegt. Mehr als die Hälfte der Befragten und somit knapp 20% mehr als im Vorjahr betrachten das eigene Unternehmen als wandlungsfähig. Dabei hat offenbar besonders die IT-Expertise der Unternehmen zugenommen. Schätzten vor der Pandemie noch 30% der Befragten die Expertise ihres Unternehmens als gering ein, so hat sich dieser Wert halbiert. 75% der Befragten gaben sogar an, dass sich ihr Unternehmen schnell oder sogar sehr schnell auf digitales Arbeiten eingestellt hat. Die einzelnen Entwicklungswerte sind der nachstehenden Graphik zu entnehmen.


Die gesteigerte Flexibilität der Unternehmen ist zu begrüßen, denn sie war in der Pandemie auch dringend erforderlich. Ohne schnelles Handeln hätten viele die unerwarteten Herausforderungen nicht so gut bewältigt. Doch wie sieht es mit der Zukunftsfähigkeit der Unternehmen aus und sind die Unternehmen auch für weitere entsprechende Krisen gewappnet? Dass es erforderlich sein wird, gewappnet zu sein,  legt eine Befragung des Beratungsunternehmens die Deloitte unter 2260 Führungskräften aus insgesamt 21 Ländern nahe. 53% der deutschen Führungskräfte gaben nämlich in dieser Befragung an, dass sie ähnliche Krisen auch in Zukunft erwarten. 7% glauben sogar, dass uns vergleichbare Szenarien regelmäßig bevorstehen. Damit liegen die deutschen Befragungsteilnehmer ziemlich genau im Schnitt der weltweiten Ergebnisse, denn auch global erwarten 52% aller Befragten dass gelegentliche Ereignisse der Größenordnung wie die aktuelle Coronapandemie wahrscheinlich sind. Die Krisenfestigkeit ihres Unternehmens schätzen die Befragten hingegen weit schlechter ein. Nur 22% der deutschen Führungskräfte stimmten der Aussage zu, dass ihr Unternehmen im Fall einer weiteren großen Krise schnell reagieren und den disruptiven Ereignissen angemessen begegnen könne. Damit liegen die deutschen Befragungsteilnehmer deutlich unter dem weltweiten Durchschnitt von 30% der Befragten. Welche Eigenschaften schätzen nun die Befragten als besonders wichtig ein, damit ihr Unternehmen großen Krisen angemessen begegnen kann? Dafür hatten die Befragten die Gelegenheit aus einer Liste verschiedene Eigenschaften auszuwählen. Als wichtigstes Kriterium wurde Flexibilität und Anpassungsfähigkeit genannt, gefolgt vom technologischen Know-How im Unternehmen. Den dritten Platz teilen sich Mut Bestehendes zu hinterfragen sowie kritisches Denken.

Glaubt man diesen Befragungsergebnissen, so scheint sich insbesondere für mittelständische Unternehmen noch großer Handlungsbedarf aufzutun, denn diese verlieren aktuell auch als Arbeitgeber an Attraktivität. Folgt man dem Corona HR Monitor des Trendence Institutes, für den jeden Monat durchschnittlich 2000 Menschen befragt werden, so hat die Attraktivität mittelständischer Unternehmen als Arbeitgeber deutlich nachgelassen. Nur noch ein Viertel der befragten Studierenden will sich bei mittelständischen Unternehmen bewerben, was einem Rückgang von erheblichen 19% im Vergleich zum Juni des Vorjahres entspricht. Auch der Anteil der Jobsuchenden mit akademischem Hintergrund, die den Mittelstand interessant finden, ist um 7% auf 27% gesunken. Ähnliche Zahlen zeigen sich auch bei den nicht akademischen Fachkräften (-6%). Lediglich bei Schülerinnen und Schülern hat die Attraktivität des Mittelstandes zugelegt. Hintergrund dieser Ergebnisse ist offenbar auch ein Wandel hinsichtlich der Kriterien, die die Arbeitsuchenden für besonders wichtig bei der Arbeitsplatzauswahl einstufen. So hat die Arbeitsplatzsicherheit als Top Auswahlkriterium das Gehalt im Laufe des letzten Jahres abgelöst. Die Bewerber schreiben offenbar Konzernen eine größere Jobsicherheit zu als mittelständischen Unternehmen, weil sie vermuten, dass die Konzerne eine höhere Resilienz in Krisenzeiten aufweisen. Damit werden Konzerne aktuell als die reizvolleren Arbeitgeber wahrgenommen.


Die Studienteilnehmer wurden auch konkret befragt, ob sich ihre Auswahlpräferenzen hinsichtlich der Kriterien geändert hätten. Dies war bei einem erheblichen Teil der Befragten der Fall: 39% der Berufserfahrenen, 34% der Studierenden und 30% der nicht akademischen Fachkräfte gaben an, dass sich ihre Auswahlkriterien verändert hätten. Die Pandemie hat also ganz offensichtlich erhebliche Auswirkungen auf die Attraktivität verschiedener Arbeitgebergruppen. Gerade dem Mittelstand als Herzstück der deutschen Wirtschaft müssen die aktuellen Zahlen zu denken geben.

Interessant ist auch immer die Frage, inwieweit eine Krise wie wir sie derzeit erleben, die Unternehmenskulturen verändert. Im aktuellen Hernstein Management Report, für den knapp 1600 Führungskräfte und Unternehmer aus Deutschland und Österreich befragt wurden, ging es diesmal um die Frage, wie beliebt Rebellinnen und Rebellen in Unternehmen sind. Auch wenn sie manchmal unbequem sind, ihr positiver Einfluss auf das Unternehmen ist ganz offensichtlich anerkannt. 57% der Befragten gaben nämlich an, dass ihre Andersdenkenden positive Auswirkungen auf die Arbeitsergebnisse hätten. 49% sehen sie auch für die Erreichung der Unternehmensziele als unmittelbar wertvoll an. Dabei werden insbesondere ihre Innovationsimpulse und ihre frischen Denkanstöße geschätzt. Auch ehrliche Kritik ist gern gesehen. Etwas anderes schätzen die Befragten die Auswirkungen der Rebellinnen und Rebellen auf das Teamgefüge ein, denn das Befragungsbild ist gespalten. Während 46% der Befragten positive Effekte sehen, sehen fast ebenso viele (44%) negative Effekte auf das Teamgefüge. Auch die Zusammenarbeit mit den Führungskräften wird von diesen als herausfordernd beurteilt. Jede dritte Führungskraft empfindet die Zusammenarbeit mit Rebellinnen und Rebellen als anspruchsvoll. Ein besonders hohes Standing genießen die Rebellen offenbar beim Top Management. 65% der befragten Topmanager würden ihre rebellischen Mitarbeitenden vermissen, wenn diese das Unternehmen verlassen würden. Dass Rebellinnen und Rebellen umso positiver gesehen werden je höher die Befragten in der Unternehmenshierarchie angesiedelt sind, hat vielleicht auch damit zu tun, dass den TOP Managern selten die operative Führung der Rebellinnen und Rebellen obliegt. Je näher ich an den Rebellen dran bin, desto anstrengender kann der Umgang mit ihnen sein, was ihre positiven Effekte möglicherweise überspielt.

Zum Abschluss der Befragungsergebnisse in diesem Monat noch ein kurzer Blick auf ein ganz anderes Thema nämlich auf das Thema Gesundheit der Führungskräfte. Dass viele Führungskräfte auch in der Coronapandemie besonders gefordert waren, versteht sich von selbst. Forschende an der Kühne Logistik Universität haben aktuell untersucht, inwieweit Managerinnen und Manager einer Burnout Gefahr unterliegen. Für ihre Studie haben sie in zwei Runden einmal 580 und einmal 154 Führungskräfte sowie jeweils eine ihnen nahestehende Person befragt. Befragungsgegenstand waren das erlebte Machtgefühl und die erlebte Selbstwirksamkeit. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Burnout Gefahr ganz offenbar mit zunehmender Karrierestufe abnimmt: Je höher ein Befragter in der Unternehmenshierarchie angesiedelt war, desto geringer sein Burnout Risiko. Ganz offenbar haben also ein positives Gefühl für die eigene Wirksamkeit und des eigenen Machtgefühls positive Auswirkungen auf das Burnout Risiko. Dies verwundert auch nicht, denn gemeinhin werden die höchsten Burnout Risiken dem sogenannten Mittelmanagement, dass sich in der „Sandwichposition“ mit Druck von unten und oben befindet, zugeschreiben. Die Studie gibt allerdings auch gute Anhaltspunkte wie das Burnout Risiko aller Führungskräfte vermindert werden kann. Fördert man nämlich die erlebte Selbstwirksamkeit der Führungskräfte auf allen Ebenen, so nimmt offenbar das Burnout Risiko ab. Für eine positive Selbstwirksamkeit ist eine gute Fehlerkultur, in der Fehler als Chance begriffen werden, sicher von Vorteil. Auch positive Vorbilder im Unternehmen können ebenso wie Resilienztrainings stärkend wirken.

Die aktuell deutlich sinkenden Inzidenzzahlen der Corona Pandemie und das fortschreitende Impfen der Bevölkerung geben Anlass zur Hoffnung, dass wir in Kürze wieder zu deutlich mehr Normalität zurückkehren können. Nach wie vor ist die Frage, wie die neue Unternehmensnormalität jedoch aussieht, völlig offen. Es bleibt spannend abzuwarten, wie sich die Arbeitsformen in den Unternehmen nachhaltig verändern, inwieweit sich hybride oder vollständig mobile Arbeitsformen nachhaltig durchsetzen und welche sozialen Implikationen damit verbunden sind und die Gesellschaft insgesamt verändern. Bei diesen Themen am Ball zu bleiben, lohnt sich sicher.

Alle zitierten Befragungen wurden veröffentlicht
in der Aufgabe 6/2021 von managerseminare.