Arbeitswelt und Führung: aktuelle Trends und Umfragen, Ausgabe 26.10.2022

In diesem Monat habe ich für Sie vier Umfrageergebnisse ausgewählt, die ich gerne mit Ihnen teilen möchte.

Corona hat uns alle unzweifelhaft in den letzten Jahren eine der größten Krisen der jüngeren Vergangenheit beschert. Doch auch Corona ist mal wieder ein Beispiel dafür, dass jede Krise auch eine Chance ist, denn es zeigen sich auch positive Entwicklungen in den Unternehmen. In einer Studie des Digitalverbandes Bitkom gaben 79% der befragten abhängig Beschäftigten an, dass sie den Eindruck hätten, ihr Arbeitgeber würde seinen Mitarbeitern mehr Vertrauen schenken und auch mehr auf ihre Eigenverantwortung vertrauen als vor der Corona Krise. Das finde ich einen überraschend guten Wert! Auch im Führungsstil vieler Führungskräfte werden offenbar positive Veränderungen wahrgenommen. So hatten 40% der Befragten das Gefühl, dass ihre Führungskraft mehr auf die Belange der Mitarbeitenden eingeht als vor Corona. Etwa die Hälfte gab außerdem an, dass im Unternehmen nunmehr mehr auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden geachtet wird. Positive Veränderungen sind also ganz offenbar in vielen Unternehmen auf dem Weg – jede Krise ist eben auch eine Chance.

Diese positiven Veränderungen in den Unternehmen könnten sich auch bei der Suche nach neuen Mitarbeitenden positiv auswirken. Der aktuelle Blue- and Grey-Collar-Report der Jobplattform Joblift, für den deutschlandweit 1500 Menschen befragt wurden, zeigt nämlich, dass Arbeitsatmosphäre und Führungsarbeit sehr wichtige Kriterien bei der Jobsuche sind. Die Befragten fanden zunächst Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitenden am attraktivsten, so dass sich Mittelständler freuen können, da sie offenbar als attraktiver als Großkonzerne erlebt werden. 75% der Befragten legten Wert auf eine Arbeitsatmosphäre, die durch ein familiäres Miteinander geprägt ist. 73% der Befragten war ein fairer und menschlicher Führungsstil besonders wichtig. Auf dem Dritten Platz folgte mit 65% der Nennungen eine optimale Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wesentlich weniger Bedeutung wurde von den Befragten etwa dem Unternehmensimage und den eigenen Aufstiegsmöglichkeiten (je 24%) oder den konkreten Weiterbildungsmöglichkeiten (19%) zugemessen. Wenn Sie schon früher einmal meine Blogbeiträge gelesen haben, dann werden Sie diese Ergebnisse nicht überraschen. Seit Jahren finden wir immer wieder drei Big Points und seit einigen Jahren einen klaren Aufsteiger, wenn es um die Fragen von Arbeitgeberwahl und Mitarbeitermotivation geht. Diese Studie macht da keine Ausnahme. Die großen drei Aspekte sind immer wieder (vereinfacht dargestellt): die Aufgabe selbst, der Chef bzw. die Chefin und das Team. Der „Aufsteiger“ ist seit Jahren das Thema „Work-Life-Balance“, ganz gleich welchen Namen (in dieser Studie: Vereinbarkeit von Familie und Beruf) Sie dafür bevorzugen. Die aktuelle Befragung liegt also voll und ganz im Trend der letzten Jahre.

Das kann man von den Ergebnissen des aktuellen Karrierebarometers der Recruiting-Plattform JobTeaser nicht unbedingt behaupten. Häufig habe ich den letzten Jahren daraufhin gewiesen, dass aktuellen Umfragen zu Folge Deutschland die Führungskräfte auszugehen scheinen, da junge Menschen zunehmend keine Führungsverantwortung mehr anstreben. In der aktuellen Befragung, in der fast 2000 junge Talente befragt wurden, gaben immerhin 70% an, dass sie innerhalb der nächsten 10 Jahre Führungsverantwortung übernehmen wollen. Das ist ein überraschend hoher Wert. 80% legen Wert darauf, bei künftigen Job- und Abteilungsentscheidungen mitreden zu können. Bevor wir nun jedoch alle jubilieren, dass wir demnächst jede Menge Führungsaspiranten zur Auswahl haben werden, muss ich leider doch etwas Wasser in den Wein gießen, denn eigentlich wissen die meisten jungen Menschen noch gar nicht, was sie wollen. 86% der Befragten gaben nämlich an, noch gar keinen klaren Karriereweg vor Augen zu haben. Und noch schlimmer: Angesichts der aktuellen Lage machen sich signifikante 93% der Befragungsteilnehmer Sorgen um ihre berufliche Laufbahn. Ob wir also bald wirklich so viele potentielle Führungskräfte haben, bleibt aus meiner Sicht schlicht abzuwarten. Ich persönlich bin nicht sehr optimistisch.

Der Fachkräftemangel ist aktuell an vielen Stellen unseres Zusammenlebens deutlich spürbar und wurde in meinem Blog auch schon häufig thematisiert. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) und des Softwareanbieters Textkernel hat 68.000 Webseiten mit Stellenanzeigen untersucht. Im Ergebnis zeigt sich, dass im Bereich HR der Personalbedarf offenbar so groß ist, wie noch nie. Allein im ersten Quartal 2022 gab es in Deutschland 75.000 offene HR-Stellen, wobei Recruiter ganz besonders gesucht waren. Die Zahlen steigen aktuell weiter an, so dass Mitarbeitende, die sich für einen Arbeitsplatz im HR-Bereich interessieren zur Zeit besonders gute Jobaussichten haben.

Alle zitierten Studien wurden veröffentlicht in der Ausgabe 11/2022 von mangerseminare.

Der MP Impuls zur Selbstreflexion vom 08.10.2022

Als ich das obige Zitat von Peter Wohlleben, dem bekannten Förster und vielfachen Bestsellerautor in einem Interview mit Dr. Eckart von Hirschhausen las, gingen mir spontan zwei Gedanken durch den Kopf.

Der erste war: Stimmt!

Der zweite war: Und das gilt nicht nur für Bäume.

Wir können niemandem helfen, wenn wir selbst depressiv, mutlos, ausgelaugt, überlastet und ohne Energie sind. Mir ging auch meine aktuelle berufliche Situation durch den Kopf, in der ich als Business Coach zur Zeit verstärkt mit Menschen arbeite, die sich in Überlastungssituationen befinden, um das Wort Burnout hier mal nicht zu verwenden. Ganz offensichtlich ist es aktuell so, dass nach mehreren Coronajahren und den dazugekommenen Krisen wie Krieg und Energiekrise die Menschen zunehmend an ihre Grenzen kommen.

Da ist die langjährig erfahrene und erfolgreiche Ingenieurin, die plötzlich bei mir sitzt und schon im Kennenlerngespräch den Satz sagt: „Wenn ich meinen kleinen Sohn nicht hätte, weiss sich nicht, ob ich noch hier wäre.“ Da ist der Beamte, der seit vielen Jahren schwierige Situationen meistert, mit unterschiedlichen Chefs immer große Herausforderungen hatte, weil er stets auch ein Stück weit für seine Chefs mitarbeiten und mitdenken musste. Er erklärt mir plötzlich: „Ich weiß auch nicht, es hat sich eigentlich nichts geändert, aber ich komme an meinen Arbeitsplatz und breche in Tränen aus. Arbeiten kann ich nicht mehr.“ Da ist der Mitarbeiter einer Verwaltung, der erklärt, er habe seit Jahren viel zu tun. Das war immer normal, doch jetzt sind noch private Themen dazugekommen, und plötzlich geht es nicht mehr. Er schaffe es nicht mehr. „Ich kann mich nicht mehr aufraffen!“

Das sind nur drei meiner aktuellen Coachingmandate – ich könnte noch weitere anführen. Was ist passiert mit diesen Menschen, die plötzlich ihre eigenen Kompetenzen nicht mehr erleben, die das Gefühl haben, sich selbst nicht mehr helfen zu können und allein nicht mehr klarzukommen, obwohl sie so viele Jahre erfolgreich gearbeitet haben.

Die Ursachen sind vielfältig und liegen zum einen in einer Arbeitsüberlastung und Stress, zum anderen aber auch darin, dass Menschen Ängste und Sorgen haben und nicht wissen, wie es weitergeht. Unsicherheit ist für viele Menschen immer ein großer Stressfaktor und davon haben wir in unserer Zeit gerade mehr als genug. Aber ich stelle auch immer wieder fest, dass Menschen viel zu wenig über sich selbst wissen, um sich dann auch helfen zu können. Sehr oft bleiben meine Fragen wie z.B. „Was tut Dir denn gut?“ unbeantwortet. Wenn ich die Menschen frage, wann sie das letzte Mal in der Natur waren, schauen mich oft zwei nachdenkliche Augen an. „Wann hast Du das letzte Mal etwas gemacht, nur für Dich, einfach nur, weil es Dir guttut und Dir Spaß macht? Und was war das?“ Auch da schauen mich oft zwei leere Augen an. Unsere aktuelle Zeit ist geprägt davon, dass wir viel Arbeit haben, von Sorgen geplagt sind und keine Zeit mehr finden, damit wir uns mit uns selbst beschäftigen können. Wir vergessen, wer wir sind, was uns wichtig ist, und vor allem, was uns guttut. Wer aber nichts über sich weiß, der kann sich natürlich in schwierigen Situationen auch nur schlecht selbst helfen.

Was sind meine Werte? Was tut mir wirklich gut? Wenn ich diese Fragen nicht beantworten kann, dann ist es schwer, mir selbst zu helfen.

Es ist mehr als Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Diese Zeit ist etwas besonders Wertvolles und schon deshalb sollten wir alle es auch tun. Wer soll auf Sie Acht geben, wenn Sie das nicht selbst tun? Wer soll für uns da sein, wenn wir selbst nicht für uns da sind?

Ein schönes Beispiel von Achtsamkeit für sich selbst begegnete mir letzte Woche in einem Seminar. Ich begann mit einer neuen Gruppe Führungskräfte eine über mehrere Bausteine gehende Ausbildung. Mitten in einer intensiven Diskussionsrunde griff eine der Teilnehmerinnen nach ihrem Smartphone, schaute darauf und war für einen Moment abgelenkt. Sofort sprach sie mich an und sagte: „Das tut mir leid, ich bin Diabetikerin und habe gerade das Gefühl, das mein Zuckerspiegel absackt. Ich muss einmal schauen, wie es mir tatsächlich geht.“

Ich weiß nicht, ob ich auch nach außen wahrnehmbar gelächelt habe. Innerlich musste ich auf jeden Fall tief in mich hinein schmunzeln und habe für mich gedacht: „Wow, das ist genau das ich mir wünsche – Achtsamkeit für sich selbst!“

Wer soll auf uns achtgeben, wenn wir es nicht selbst tun? Im Moment aber tun das sehr viele Menschen offensichtlich nicht. Anders ist der sprunghafte Anstieg von Mandanten, die mit den oben genannten Problemen zu mir kommen, kaum zu erklären. Natürlich lässt sich niemand willentlich außer Acht vernachlässigt sich bewusst. Aber es häufen sich die Fälle, in denen die Menschen für sich selbst keine Zeit mehr haben und sich nicht um sich selbst kümmern.

Es sind oft unsere inneren Antreiber, die in Stresssituationen wie aktuell plötzlich über die Stränge schlagen und uns Dinge tun lassen, die uns nicht guttun. Es sind unsere Werte, die verletzt sind und die uns dann in die Enge treiben. Es ist die erlebte Hilflosigkeit, mit der wir oftmals nicht wissen, wie wir mit ihr umgehen sollen, weil wir zu unseren Kompetenzen gerade keinen Zugang mehr haben. All das sind oft unbewusste Prozesse, aber wenn die Überlastung zu groß wird, dann finden wir unsere Kompetenzen erst recht nicht mehr wieder, und die Hilflosigkeit nimmt weiter zu.

So erlebe ich das gerade bei vielen meiner Mandanten und ich kann mich keinesfalls darüber freuen, falls irgendjemand beim Lesen dieses Impulses meinen sollte, das sei doch gut für mich, denn dann habe ich ja viel zu tun. Ich arbeite gerne, aber diese Fälle müssen wirklich nicht noch häufiger werden.

Es gibt so viele andere Themen, an denen man auch arbeiten kann. Deshalb möchte ich diesen Impuls auch gar nicht allzu lange ausweiten, sondern möchte Sie ermuntern, über Folgendes nachzudenken:

Was tut Ihnen gut?

Was sind Ihre Werte?

Was sind Ihre Antreiber?

Wann haben Sie sich das letzte Mal mit sich selbst beschäftigt, wann haben Sie sich Zeit nur für sich selbst genommen?

Wie auch immer Ihre Antworten ausfallen, denken Sie an Folgendes: Wenn es Ihnen selbst nicht gut geht, dann können Sie niemand anderem helfen. Sie können nicht für die Familie da sein, nicht für die Firma, nicht für die Kolleginnen und Kollegen, ganz getreu dem Zitat von Peter Wohlleben: „Die Bäume haben nichts davon, wenn wir depressiv werden.“

So gilt es auch für alle anderen Menschen um uns herum und natürlich erst recht für uns selbst. Dieser Impuls ist vielleicht auch besonders gut geeignet, Ihnen zum Abschluss noch drei Fragen zu stellen, die ich aus den Weltbestsellern von John Strelecky aus der Reihe „Das Cafe am Rande der Welt“ entnommen habe. Und vielleicht haben Sie diese Fragen auch schon einmal gehört, wenn Sie eines der Bücher von John Strelecky gelesen haben. Die drei Fragen, die ich Ihnen zum Abschluss dieses Impulses stellen möchte, lauten:

Wer bist Du?

Warum bist Du hier?

Führst du ein erfülltes Leben?

Ich wünsche Ihnen ein schönes und entspanntes Wochenende.

Arbeitswelt und Führung: aktuelle Trends und Umfragen, Ausgabe 26.09.2022

In diesem Monat liegen eine ganze Reihe interessanter Studien zu verschiedenen Themen vor.

Da Apple gerade seine Beschäftigten zurück in die Firma ruft und die Diskussion um die Frage des Homeoffices damit neu befeuert, starten wir gleich mit diesem Thema. Auch in Deutschland scheint die Frage Homeoffice ja oder nein für viele Führungskräfte immer noch nicht eindeutig beantwortet zu sein. In einer Studie des Deutschen Innovationsinstituts für Nachhaltigkeit und Digitalisierung (DIND), für die 2767 Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer befragt wurden, haben 51 Prozent der Befragten aus kleinen und mittelständischen Unternehmen angegeben, sie fänden es problematisch, wenn viele ihrer Mitarbeitenden im Homeoffice sind. Die größte Sorge ist offensichtlich, dass die Kreativität der Mitarbeitenden sinken könnte. 71 Prozent der befragten Führungskräfte gehen davon aus, dass im Homeoffice die Kreativität ihrer Mitarbeitenden geringer ist. Derartige Annahmen werden auch durch aktuelle Aussagen führender Hirnforscher gestützt, die davon ausgehen, dass Kreativität in erster Linie durch Präsenz und Teamarbeit vor Ort gefördert wird.

In der Studie hatten außerdem 44 Prozent der Befragten den Eindruck, dass die Produktivität ihrer Mitarbeitenden im Homeoffice abgenommen hat. Allerdings kommen die Befragten nicht zu dem Ergebnis, dass ihre Sorgen dem Homeoffice in Gänze entgegenstehen, denn 82 Prozent der befragten Führungskräfte waren gegen eine komplette Abschaffung des Homeoffice. So bleiben die Fragen, wie eine Kombination zwischen Homeoffice und Arbeiten vor Ort im Unternehmen optimal gestaltet werden kann. Hier werden bereits seit längerem Fragestellungen fester oder variabler Präsenztage, einer konkret vorgegebenen Anzahl von Tagen im Home Office oder auch in Präsenz und ähnliche Lösungsmodelle diskutiert. Eine Musterlösung scheint es hierbei nicht zu geben, vielmehr wird jedes Unternehmen für sich entscheiden müssen, welche Lösung die bestmögliche Verbindung zwischen Unternehmens- und Mitarbeiterinteressen darstellt.

Die Kühne Logistics University hat in einer Studie 622 Mitarbeitende der Hamburger Hochbahn befragt und dabei herausgefunden, dass die Mehrheit gerne ins Büro zurückkommen möchte. Ein Zwang zur Rückkehr ins Büro scheint also gar nicht notwendig: Freiwilligkeit und individuelle Vereinbarungen deuten sich nach wie vor als bestmögliche Wege zur Vereinbarkeit der Interessen aller Beteiligten an. Dabei sollten die Präsenztage möglichst individuell zwischen den Mitarbeiten und ihren jeweiligen Führungskräften abgesprochen werden. Homeoffice allein scheint keinesfalls die Musterlösung für viele Mitarbeitende darzustellen, da immer mehr auch der Aspekt des sozialen Miteinanders der Kolleginnen und Kollegen vor Ort thematisiert wird. Ähnliche Erfahrungen hat auch der Sportartikelhersteller Puma gemacht. Ohne einen offiziellen Aufruf kehrten etwa 80 Prozent der Beschäftigten jeden Tag ins Büro zurück.

Ich habe in meinen Blogbeiträgen schon oft darauf hingewiesen, dass das „New Normal“ der Zusammenarbeit keineswegs schon gefunden ist, was nach einer so kurzen Zeit auch gar nicht möglich erscheint. Die Suche nach den richtigen, individuellen Lösungen bleibt Aufgabe aller Unternehmen.

Zu diesem Thema liegen noch zwei weitere Befragungen vor, die interessante Blitzlichter zu Teilaspekten darstellen. Der Technologieanbieter Sharp Business Systems hat mehr als 6000 Büroangestellte befragt und festgestellt, dass etwa die Hälfte der Befragten persönliche Besprechungen einem virtuellen Meeting vorziehen würde. Hauptgrund ist offenbar, dass die Befragten davon ausgehen, dass face to face bessere Kommunikationsmöglichkeiten bestehen, als dies in einer virtuellen Besprechung der Fall ist.

Ein weiteres interessantes Blitzlicht liefert eine Studie von Cegid, einem cloudbasierten Business-Management Lösungsanbieter. In dieser Befragung wurden 100 Führungskräfte und 400 Mitarbeitende hinsichtlich ihrer Präferenzen zu flexiblen Arbeitszeiten befragt. 42 Prozent der männlichen Studienteilnehmer, aber nur 29 Prozent der befragten Frauen, gaben an, dass flexible Arbeitszeitgestaltung für sie ein entscheidender Faktor bei der Arbeitgeberbindung ist. Dies ist zunächst ein überraschendes Ergebnis, denn gemeinhin wird Frauen unterstellt, dass für sie flexible Arbeitszeiten deutlich wichtiger seien als für ihre männlichen Kollegen. Besonders deutlich fiel der Unterschied bei den Besserverdienenden mit mehr als 5000 Euro Haushaltsnettoeinkommen aus: 52 Prozent der männlichen Befragten, aber nur 25 Prozent der Frauen, empfanden flexible Arbeitszeiten als besonders wertschätzend. Leider hat die Studie nicht nach den Gründen dieser Entwicklungen gefragt. Es darf jedoch (mit den Studienautoren übereinstimmend) angenommen werden, dass die Erfahrungen der letzten zwei Jahre dazu geführt haben, dass die Hemmschwelle nach flexiblen Arbeitszeiten und Arbeitsmöglichkeiten im Homeoffice zu fragen, deutlich abgesenkt wurde. Dies gilt insbesondere für die männlichen Arbeitnehmer.

Keine Frage: Beim Thema Home Office wird es spannend bleiben und die Entwicklung der nächsten Monate und sogar Jahre wird sicher noch vielfältige Aspekte zu diesem Thema offenbaren, die wir hier weiter betrachten werden. Wechseln wir nun jedoch das Thema und wenden uns dem Recruting zu.

Selten hatten wir einen Arbeitsmarkt, der so sehr durch eine Stärke der Arbeitssuchenden geprägt ist, wie das aktuell der Fall zu sein scheint. Kaum ein Arbeitgeber sucht nicht nach geeignetem Personal und hat Schwierigkeiten, seine offenen Stellen zu besetzen. Da überrascht es nicht, dass in einer Befragung der HR-Beratung Königsteiner Gruppe, an der 1000 Jobsuchende teilgenommen haben, weitaus häufiger die Jobsuchenden selber abgesagt haben, als dass die Arbeitgeber eine Absage erteilt haben. 34 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich selbst entschieden haben, den angebotenen Job nicht anzunehmen, während in nur 19 Prozent der Fälle die Arbeitgeber abgesagt haben. 42 Prozent der Jobsuchenden sagten, ab, weil sie ein Angebot gefunden haben, das besser zu ihrer Persönlichkeit passte. Weitere wichtige Gründe waren: Ein Angebot mit einem besseren Gehalt (35 Prozent) oder Jobs, die noch besser auf die persönlichen Qualifikationen passten (29 Prozent). Die Studie zeigt auch, dass die Jobsuchenden inzwischen klare Anforderungen haben, was zum Beispiel die Reaktionszeiten der Arbeitgeber betrifft. 72 Prozent der Kandidaten möchten nicht länger als zwei Wochen auf eine Rückmeldung warten, was nicht mal ein Drittel der Arbeitgeber erfüllte. Weitere Gründe für mögliche Absagen durch die Bewerber waren ein zu langwieriger Bewerbungsprozess, ein unpersönlicher Kontakt oder ein nicht mehr zeitgemäßes Verfahren. Die Anforderungen der Jobsuchenden an ihre Arbeitgeber sind insgesamt deutlich gestiegen, sodass man durchaus davon sprechen kann, dass inzwischen mehr die Arbeitnehmer die Arbeitgeber auswählen als die Arbeitgeber ihr Personal. Dieses ist zweifelsohne eine große Herausforderung für viele Unternehmen, die händeringend nach Fachkräften suchen, und es ist auch eine gute Chance für die Mitarbeitenden sowohl die für sie persönlich passenden Aufgabengebiete als auch eine gute Bezahlung zu finden.

Eine weitere interessante Befragung legt das Hernstein Institut für Management und Leadership vor. In einer Studie unter 1500 Führungskräften der DACH-Region wurde die Frage der aktuellen Mitarbeiterführung untersucht, insbesondere ob Führungskräfte zunehmend die Rolle des Coaches ihrer Mitarbeitenden ausüben. 90 Prozent der Befragten sehen die Führungskräfte künftig in der Rolle des Coaches. Ich habe mich bereits mehrfach kritisch dazu geäußert, das aus meiner Sicht die Aufgaben Führungskraft und Coach nur in Grenzen zusammenpassen. Als Coach habe ich keine eigenen Interessen. Als Führungskraft habe ich das immer und zusätzlich auch die Interessen des mich bezahlenden Unternehmens zu berücksichtigen. Ich werde also sicher nicht uneingeschränkt Coach meines Mitarbeiters oder meiner Mitarbeiterin sein können, da Interessenkonflikte vorprogrammiert sind. Dennoch geht sicher die Entwicklung in die richtige Richtung, wenn wir das Thema dahingehend interpretieren, das zunehmend unterstützend und mit Coaching-Techniken geführt wird. 70 Prozent der Befragten halten es übrigens für wahrscheinlich, dass die aktuelle Entwicklung vor allen Dingen eine Reaktion auf den zunehmenden Fachkräftemangel ist. Die Führungskräfte selbst stellen sich, wie schon in vielen Befragungen vorher, wieder einmal ein ausgezeichnetes Zeugnis aus, denn 84 Prozent der Führungskräfte waren der Meinung, dass sie bereits coachend führen. Leider gibt die Studie keinen Aufschluss darüber, wie das Bild auf der Seite der Mitarbeitenden aussieht, denn wir haben schon in vielen Befragungen feststellen müssen, dass meist eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Selbstbild der Führungskräfte und dem kritischen Spiegelbild der Geführten besteht. Wie auch immer dem sei, der Trend geht jedenfalls in die richtige Richtung, denn ohne Frage sind klassische Führungsmethoden, die vor allem auf Hierarchie und auf „law and order“ basieren, nicht mehr zeitgemäß. Coachingkompetenzen zu besitzen und unterstützend zu führen, ist zweifelsohne für die Führungskräfte der Zukunft der richtige Weg.

Zum Abschluss dieser Betrachtungen noch eine Studie, die wieder einmal belegt, dass Geld nicht motiviert. Das Gehalt ist ein klassischer Hygiene-Faktor (nach Herzberg), der ggf. unzufrieden macht, aber nicht motiviert. Dieses Ergebnis wurde schon in vielen Studien belegt, aber es macht nichts, auch noch eine Studie der Internationalen Hochschule zu betrachten, die dafür gut 2000 deutsche Angestellte zwischen 18 und 65 Jahren befragt hat. In dieser Studie führten die Befragten aus, dass ihre Motivation sinkt, wenn das Gehalt zu gering ausfällt (27,2 Prozent) oder wenn zu wenig Anerkennung und Wertschätzung vorhanden ist (27,1 Prozent). Das gegenteilige Ergebnis, also dass aus einem höheren Gehalt auch eine größere Motivation entstehen würde, lässt sich aus dieser Studie wieder einmal nicht ableiten, denn die Befragten haben keineswegs ein besseres Gehalt als größten Motivator genannt. 31,4 Prozent stimmten vielmehr der Aussage zu, dass das Interesse an ihrer jeweiligen Aufgabe ihr größter Motivator sei. Ein höheres Gehalt landete mit 24,7 Prozent der Befragten gerade einmal auf Platz sieben (!) der motivierenden Faktoren. Eine angemessene Bezahlung, die als leistungsgerecht empfunden wird, wird heute als selbstverständlich wahrgenommen und motiviert deswegen nur temporär oder gar nicht mehr. Vielmehr schon sind Anerkennung und Wertschätzung auch klassische Motivationsfaktoren, die mit 31,1 Prozent auf Platz zwei der Nennungen landeten.

Die Anforderungen an Führungskräfte sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Aktuell scheinen wir allerdings so etwas, wie einen Booster zu erleben, denn die vielen Krisen, die aktuell unsere Welt erschüttern, machen es den Führungskräften nicht leicht. Mit diesem Thema haben sich meine Kollegin Kristin Scheerhorn und ich auch schon mehrfach in unserem New Leaders Club Podcast, indem wir speziell den Blick auf die aktuelle Lage der Führung richten und immer wieder versuchen, Ihnen Tipps und Anregungen aus dem Bereich New Work und New Leadership mit auf den Weg zu geben, auseinandergesetzt. Auch diesen Podcast finden Sie auf fast allen großen Podcast-Portalen. Vielleicht haben Sie ja einmal Lust, reinzuhören.

Alle hier zitierten Studien wurden veröffentlicht in der Ausgabe 10/2022 von managerseminare.

Für alle Führungskräfte, die sich gerne Coachingkompetenzen aneignen möchten, um noch erfolgreicher führen zu können, gibt es unter folgendem Link Informationen zu meinen Seminarangeboten zu diesem Thema.

Erfolgreich führen mit Coachingkompetenz


Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Der MP Impuls zur Selbstreflexion vom 10.09.2022

God save the queen!

Wir sollten uns alle nicht zu ernst nehmen.
Keiner von uns hat ein Monopol auf die Weisheit.
Königin Elisabeth II. von England

Nun ist es also tatsächlich passiert, Königin Elisabeth II. von England ist gestorben. Es war irgendwie unwirklich, als am Donnerstagabend plötzlich diese rote Laufschrift über den Bildschirm meines Fernsehers lief:  Königin Elisabeth II. von England ist tot.

Ich konnte es einen Moment lang irgendwie gar nicht glauben, irgendwie nicht verstehen. Königin Elisabeth II. von England war immer da. Ich bin jetzt 55 Jahre alt – eine Welt ohne die Königin kenne ich nicht.

Es hatte sich abgezeichnet, denn nur wenig vorher war auf meinem Handy eine Meldung aufgeploppt: „Die Ärzte sind besorgt und bleiben am Bett der Königin, die Familie eilt nach Schottland auf ihren Sommersitz.“ Man konnte ahnen, dass die Königin wohl sterben wird und doch, als es plötzlich soweit war, völlig unerwartet und sehr kurzfristig, schließlich hatte sie zwei Tage vorher noch die neue britische Premierministerin ins Amt eingeführt, war es irgendwie unwirklich.

Ich bin kein Monarchie- und auch kein übermäßig großer Englandfan, obwohl ich mehrfach in England war und es dort immer sehr schön fand. Aber plötzlich fehlte auf dieser Welt etwas: die Königin.

Königin Elisabeth II. von England, 70 Jahre hat diese Frau auf dem Thron der englischen Monarchie gesessen. Ich bin geneigt zu sagen: ein ganzes Leben. Als die Nachricht kam, hatte ich plötzlich Gänsehaut und ich habe sie auch jetzt gerade, da ich diese Zeilen schreibe. Was ist das für eine unglaubliche Lebensleistung? 70 Jahre auf dem Thron einer Monarchie zu sitzen, noch dazu einer so bedeutenden wie der britischen und des gesamten Commenwealth.

Wie viele Rolleninterpretationen der  Königinnenrolle mag Königin Elisabeth II. vorgenommen haben: Als sie als junge Frau völlig überraschend den Thron bestieg und heute im Alter von 96 Jahren, als sie schließlich friedlich eingeschlafen ist. Es ist, ehrlich gesagt, für mich kaum vorstellbar, diesen langen Zeitraum wirklich zu überblicken und mir klarzumachen, was alles in Ihrer Amtszeit geschehen ist. Wie viele Krisen auf dieser Welt hat sie mit ansehen müssen? Wie oft hat sie wohl die Rolle der Königin neu interpretieren müssen? Wie oft wird sie überlegt haben, wozu sage ich etwas und wozu schweige ich lieber? Wie oft wird Sie geschwiegen haben, obwohl Sie vielleicht gerne etwas gesagt hätte und wie oft wird sie sich gedacht haben man, das würde ich vollkommen anders machen, aber in meiner Regentschaft habe ich keine Chance, etwas zu ändern und zu beeinflussen?

Wie oft wird sie wohl überlegt haben, wie sie Familie und Beruf noch besser miteinander vereinbaren kann? Um ganz ehrlich zu sein – wie lächerlich muten plötzlich manche unserer Diskussionen über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an, wenn man sieht, was Königin Elisabeth II. in dieser Zeit geleistet hat: Vier Kinder, zahllose Enkel und Urenkel und immer noch im Beruf mit 96 Jahren. Wir diskutieren über die Rente mit 67 und König Charles III. hat sein Amt gerade mit 73 Jahren angetreten. Die Königin hat mit 96 Jahren nicht darüber nachgedacht, ihren Beruf aufzugeben, bekommen da nicht manche Diskussionen unserer Zeit irgendwie einen neuen Touch? Ich finde schon.

Familie und Beruf, das hat  Königin Elisabeth II. großartig hinbekommen, obwohl wir alle wissen, dass ihre Familie keineswegs einfach war. Das ist ja so ein Stück der Fluch, wenn man ein öffentliches Amt wie das der Königin innehat: Alles wird öffentlich oder sagen wir, fast alles wird öffentlich. Sie war Mutter, Großmutter, Ehefrau, Staatsfrau und vieles mehr. Was hat ihr ihre Familie „nicht alles angetan“? Wie viele Skandale hat es gegeben und immer musste sie es irgendwie mit der Krone und der Etikette des Königshauses sowie ihren persönlichen Werten in Einklang bringen.
Wie oft mag Sie auch hierzu geschwiegen haben, obwohl ihr eigentlich nach (von der Seele) Reden war? Wie oft mag Sie aber auch zu ihrem Volk gesprochen haben, obwohl ihr eigentlich nach Schweigen war. Was für eine großartige Lebensleistung!

Wie anders ist es zu erklären, dass Menschen auf der ganzen Welt plötzlich weinen, obwohl sie die Königin persönlich nicht gekannt haben? Wie kann es sein, dass auf der ganzen Welt Menschen einen Verlust empfinden, weil ein Mensch gestorben ist, der ihnen persönlich nicht bekannt war? Wie entsteht diese unglaubliche Identifikation mit einer Person bzw. mit der Monarchie? Ich glaube, es ist mehr die Person Königin Elisabeth II. gewesen und weniger die Monarchie als Institution. Was für riesige Fußstapfen hinterlässt sie ihrem Sohn, König Charles III., auch wenn dieser sich so lange wie kein anderer Thronfolger auf seine Aufgabe vorbereiten konnte?

Wir alle kennen ja sicher auch diese Tage, an denen unser Beruf eher Pflicht als Lust ist. Wie oft mag es solche Tage im Leben der Königin gegeben haben? Die Pflicht ruft! Wie großartig hat sie ihre Pflicht stets wahrgenommen, stets perfekt gekleidet, immer lächelnd und immer die erhabene Königin. So stand sie unzählige Male vor Ihrem Volk, vor den Kameras der Öffentlichkeit und der ganzen Welt. Ich glaube, davon können wir uns alle ein großes Stück abschneiden!

So viele Veränderungen und Krisen auf dieser Welt hat sie begleitet. Wie viele Krisen hat sie vielleicht gar nicht erwartet, nicht vorhergesehen? Es muss eine immense Aufgabe gewesen sein und nun muss die Welt ohne Königin Elisabeth II. von England auskommen. Natürlich wird sie sich weiterdrehen und Charles III. wird König von England sein. Für mich jedenfalls war der Moment ihres Todes auch ein Moment des Innehaltens. Ein Moment, der mich inspiriert hat, diesen Impuls zu schreiben, auch um Sie zu fragen:

Wie blicken Sie auf die Königin, auf ihre 70 Jahre auf dem Thron? Was können Sie von Elisabeth II. lernen und was nehmen Sie für sich mit von ihrer großartigen Leistung? Vielleicht die Familie und den Beruf unter „einen Hut zu bringen“ oder ist es eher die großartige Disziplin über eine so lange Zeit ein herausragendes öffentliches Amt ausgeübt zu haben? Oder ist es etwas ganz anderes, was nehmen Sie für sich ganz persönlich mit?

Bevor ich diesen Impuls beende noch ein kurzer Gedanke: Vielleicht ist ja der ein oder andere unter Ihnen, der jetzt denkt: „Naja, wenn man so reich ist, wenn man so umsorgt wird, wenn man Tag und Nacht so viele Menschen hat, die einem alles abnehmen, die sich um alles kümmern, dann ist es ja auch leicht, das alles zu bewältigen.“ Nein, das glaube ich ganz und gar nicht. Es ist mit Sicherheit nicht leicht. Im Gegenteil es ist unglaublich schwer, denn ich glaube, dass man oft auch gefangen ist: Gefangen in der Rolle, gefangen in den vielen Schlössern, gefangen von den Menschen, die ständig um einen herum sind. Wo ist man noch Privatmensch? Wann ist man frei? Wo ist man für sich? Wo war die Königin einfach nur die liebende Ehefrau von Prinz Philipp? Wie haben die beiden das geschafft, ihren Platz als Paar zu finden und miteinander glücklich zu sein bei so viel Öffentlichkeit? Ich habe mich das oft gefragt, wenn ich die beiden gesehen habe: 73 Jahre verheiratet, glücklich miteinander bis ins hohe Alter. Was ist auch das für eine Leistung, wenn man sieht, wie viele Ehen heute nach oft nur kurzer Zeit und – zumindest gefühlt – bei den ersten Problemen auseinander gehen. Nein, ich glaube nicht, das reich und umsorgt sein, es leichter macht, im Gegenteil. Vielleicht ist auch das ein Aspekt, der den ein oder anderen von Ihnen inspiriert und zum Nachdenken bringt.

Ich möchte Sie mit diesem Impuls einladen, einmal Zurückzuschauen auf Königin Elisabeth II. von England und zu überlegen: Was können Sie von dieser großartigen Frau, die die Welt so lange begleitet und mitgestaltet hat, von einer echten Welt- und Staatsbürgerin für sich mitnehmen und was können Sie  – ja wir alle – von ihr lernen?

Halten Sie einen Moment inne und denken Sie darüber nach.

Was auch immer es ist: die Königin ist tot, es lebe der König. God save the king!

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Auf dem Jakobsweg – 10 Fragen an Karl-Heinz Bahr

Zum Hintergrund:
Karl-Heinz Bahr und ich kennen uns aus gemeinsamen Zeiten in der Sparkassenorganisation. In schwierigen Phasen von Fusion und Reorganisation hatten wir aus unseren Funktionen heraus, oft unterschiedliche Stand- und Schwerpunkte zu vertreten: Karl-Heinz Bahr als Vorsitzender der Personalvertretung und ich als Vorsitzender des Vorstandes. Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Sparkassendienst ist Karl-Heinz Bahr auf den Jakobsweg gegangen, was Anlass für ein Wiedersehen und dieses Interview war.

Lieber Herr Bahr, schön Sie nach so vielen Jahren wiederzusehen! Ich freue mich, dass Sie bereit sind, Ihre Erfahrungen auf dem Jakobsweg mit meinen Leserinnen und Lesern zu teilen – danke dafür!

Wie lange und von wo nach wo sind Sie auf dem Jakobsweg gewandert?

Ich bin die letzten gut 115 km von Sarria nach Santiago de Compostela gewandert. Hierfür habe ich mir 5 Tage Zeit genommen.

Wie kam es zu dem Entschluss, auf den Jakobsweg zu gehen, eher spontan oder war das schon lange geplant?

Das war kein spontaner Entschluss. Inspiriert wurde ich durch Harpe Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg“. Mit meiner Entscheidung einen Altersteilzeitvertrag abzuschließen, kam dann auch die Idee, das Arbeitsleben mit einer Wanderung auf dem Jakobsweg zu beenden und sich auf dem Weg Gedanken über den „letzten“ Lebensabschnitt zu machen.

Wie haben Sie Ihre Reise organisiert, was waren dabei die größten Herausforderungen?

Ich habe gewissermaßen die „Luxusvariante“ gebucht. Meine Unterkünfte waren im Vorwege gebucht und mein Gepäck wurde von einer Unterkunft zur nächsten transportiert, so dass ich nur die Tagesverpflegung tragen musste. Ein Kollege hatte mich auf einen Veranstalter aufmerksam gemacht, mit dem er gute Erfahrungen gemacht hat. Da ich andererseits ein sparsamer Mensch bin, habe ich die Anreise selbst organisiert. Das war dann auch die größte Herausforderung, weil mich Fragen beschäftigt haben wie: „Klappt das mit den Flügen?“, „Wie komme ich vom Flugplatz in Santiago zu meiner Unterkunft?“, „Wie komme ich von Santiago nach Sarria?“, „Was ist mit den Corona-Bestimmungen?“ und noch ein paar weitere eigentlich belanglose Fragen, die haben mich aber so beschäftigt, dass ich auch über eine Stornierung der Reise nachgedacht habe.

In der Nachbetrachtung war alles kein Problem. Ich habe mir unbegründete Gedanken gemacht.

Sie haben sich entschlossen, allein zu wandern, warum?
Waren Sie auf Ihrer Wanderung dann auch tatsächlich allein?

Hört sich komisch an, aber ich wollte mein bisheriges Leben betrachten. Was war gut, was hätte ich anders machen können? Und dann gewissermaßen den Reset-Knopf drücken und überlegen: Was kommt jetzt? Was will ich mit der „neuen Freiheit“ anfangen? Es ist ja nicht nur mein Arbeitsleben zu Ende gegangen, auch familiär gibt es Veränderungen. Zwei meiner drei Kinder sind aus dem Haus und die Dritte ist mit ihren 15 Jahren auch so weit, dass sie mehr und mehr ihren eigenen Weg geht.

Grundsätzlich war ich allein. Aber es gab immer wieder Momente, in denen ich mit anderen „Wanderern“ zusammengegangen bin und wir uns unterhalten haben.

Welche Begegnung wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben und warum?

Da kann ich keine einzelne Begegnung herausheben. Es sind so unterschiedliche Menschen jeden Alters auf diesem Weg, dass jede Begegnung etwas Besonderes ist.

Rückblickend betrachtet: Was war die größte Herausforderung auf Ihrer Wanderung? Was war das schönste Erlebnis?

Die größte Herausforderung war für mich, erst einmal anzukommen, mich auf den Weg einzulassen. Am ersten Tag bin ich viel zu schnell losgegangen. Nach knapp 3 km war ich schon so aus der Puste, dass ich mich gefragt habe: „Was mache ich hier überhaupt?“
„Warum laufe ich eigentlich so schnell?“

Als schönstes Erlebnis möchte ich dann doch zwei nennen.

Das war am vierten Tag als ich kurz vor meinem Tagesziel durch einen Eukalyptuswald ging. Vor mir weit und breit kein Mensch, hinter mir auch niemand zu sehen, es war tolles Wetter, eine sehr schöne Landschaft und ich war nur für mich. Das war ein schöner Moment, den ich sehr genossen habe.

Das Zweite war die Ankunft in Santiago. Der Moment: Ich habe es geschafft! Ich bin 115km in fünf Tagen gegangen und mir geht es gut. Und dann die unbeschreibliche Atmosphäre in Santiago.

Man sagt: „Auf dem Jakobsweg findet man zu sich selbst!“ Ist Ihnen das gelungen und wenn ja, wie war dieses Erlebnis?

Ja, das ist mir gelungen. Aber es hat etwas mehr als einen Tag gebraucht.

Es war gut, mir mal in Ruhe und mit ausreichend Zeit, Gedanken über mein bisheriges Leben zu machen. Diese Zeit habe ich mir vorher zu wenig genommen.

Was bleibt von dieser Reise als dauerhafte Erkenntnis übrig?

Es war eine schöne Erfahrung und da ich ein bisschen Tagebuch geführt habe, kann ich mir diese Zeit immer wieder vor Augen führen.

Und ich werde mir wieder so eine Auszeit gönnen. Ich bin davon überzeugt, es tut Seele und Körper gut und ich hätte es schon viel früher machen sollen.

(mit einem Lächeln) Außerdem sollte ich mein Englisch aufbessern. Ich habe mich schon geärgert, dass ich mich nicht besser verständigen konnte.

Würden Sie nochmal auf den Jakobsweg gehen und wenn ja, was würden Sie anders machen?

Ob ich noch mal auf den Jakobsweg gehen werde, weiß ich noch nicht. Aber ich werde so eine Wanderung noch einmal machen. Und dann nicht die Luxusvariante, sondern mit wenig Gepäck und ohne vorgebuchte Unterkünfte. Man braucht auch nicht viel Gepäck. Wenn man ein T-Shirt 3 Tage anzieht – das merkt doch keiner. Die ungefähre Strecke und Teiletappen festzulegen, ich glaube, das reicht.

Und ich war ja anschließend noch in Paris. Das war dann zu viel. Ein Folgeprogramm würde ich also nicht mehr machen. Vielleicht einen Tag extra am Zielort, aber mehr auch nicht.

Wie Sie wissen, arbeite ich inzwischen als Business Coach und häufig mit Klienten, die sich beruflich in sehr herausfordernden und stressbeladenen Situationen befinden. Würden Sie meinen Klienten eine Wanderung auf dem Jakobsweg empfehlen und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit es ein positives Erlebnis wird?

Das kann ich nicht eindeutig beantworten. Es ist ein guter Weg, um zu entschleunigen. Aber ich muss es wollen. Es kann kein anderer sagen, Du musst es tun.

Wichtig war für mich, mich um nichts anderes zu kümmern, Job und Familie dürfen keine Rolle spielen.

Mir war zwar wichtig, meiner Frau per WhatsApp zu schreiben, was ich gemacht habe und wie es mir geht. Wir haben aber nicht telefoniert. Das war vorher auch so abgesprochen und für mich war es gut so. Und für meine Frau war es auch in Ordnung.

Zum Abschluss: Wenn ich Ihre Frau fragen würde, ob die Wanderung auf dem Jakobsweg Sie verändert hat, was würde sie mir sagen?

Vielleicht nicht, dass ich mich verändert habe, aber bewusster mit der Zukunft umgehe. Insofern hat es mir für die Gestaltung des Ruhestandes sehr gut geholfen.

Lieber Herr Bahr, ich bedanke mich sehr für dieses Gespräch!

Sehr geehrter Herr Porten, ich bedanke mich ebenfalls bei Ihnen, dass wir nach so langer Zeit mal wieder miteinander reden konnten. Ich hatte schon länger das Bedürfnis, mich mit Ihnen über Ihre Zeit nach der Sparkasse auszutauschen. Vielen Dank auch von mir für das Gespräch.

Alle Fotos in diesem Blogbeitrag wurden mir freundlicherweise von Karl-Heinz Bahr zur Verfügung gestellt. Die Bildrechte liegen bei Herrn Bahr.