Der MP Impuls zur Selbstreflexion vom 09.07.2022

„Ich habe diesmal ein etwas anderes Anliegen.“

Mit diesen Worten hatte mein Klient bei mir den Spannungsbogen für sein heutiges Coaching schon in dem Telefonat, in dem wir den Termin fixierten, erhöht. Ich ahnte, dass es vielleicht nicht um ein berufliches Thema gehen würde, denn immer wieder hatten wir in den vorangegangenen Terminen auch seine ehrenamtlichen Tätigkeiten, die große Teile seiner Freizeit beanspruchten, gestreift.

„Ok, wofür arbeiten wir beide denn heute zusammen?“, warf ich meinem Coachingnehmer nach etwas Smalltalk den Ball zu.

„Ich habe keinen Bock mehr, mich in meinem Sportverband zu engagieren. Sie gehen mir alle auf den Wecker, ich würde am liebsten alles hinschmeißen.“

Mein Klient hatte vor rund zwei Jahren den Vorsitz im Spielausschuss eines Sportverbandes übernommen. Mit viel Elan war er gestartet, hatte zahlreiche Ideen eingebracht, wollte viele Dinge neu und zukunftsorientiert gestalten. Sein Ehrenamt kostete ihn viel Zeit und anfangs hatte er sich diese neben seinem anspruchsvollen Job gerne genommen. Es sollte ein Ausgleich sein, andere Themen, andere Menschen, mehr gestalten. Leider zogen die anderen nicht mit: Die Vereine verfolgten eigene Interessen, die Aktiven auch und seine Mitstreiter auf der Funktionärsebene unterstützten ihn wenig. Bald häuften sich die Frusterlebnisse und aus dem Ausgleich zum Job wurde eine weitere Belastung.

„Na dann, hör doch einfach auf!“, warf ich provozierend in den Raum, denn ich wusste natürlich, dass es so einfach nicht sein würde. „Was hält Dich zurück, das Ehrenamt sofort abzugeben?“

Darauf konnte mein Klient keine Antwort geben und begann zu stottern. Er wisse es nicht, es fühle sich auf der einen Seite richtig an, alles hinzuschmeißen. Auf der anderen Seite halte ihn irgendetwas zurück, das auch wirklich zu tun. Nur was, das wisse er auch nicht.

Also machten wir uns auf die Suche und die war nicht einfach.

Mein Klient hatte durch seine Funktion keine Privilegien oder persönliche Vorteile. Er hatte auch keine Familienangehörigen, die aus seiner Funktion einen Nutzen zogen. Eine Vergütung gab es ebenfalls nicht und über Langeweile klagte mein Klient auch ohne sein Amt nicht. Es gab auch keine wirkliche organisatorische Hürde, die er mit einer Amtsaufgabe zu überspringen hätte. Ein Einzeiler mit seinem Rücktritt würde genügen. Und doch war es, als hielte ihn eine unsichtbare Kraft davon ab, aufzuhören.

„Dann müssen wir wohl nochmal die Perspektive ändern“, sagte ich zu meinem Klienten als wir uns nach einer halben Stunde im Kreis drehten. Ich bat ihn zwei Jahre zurückzugehen und mir zu erzählen, wie er damals zu seinem Amt gekommen war. Er war angesprochen worden, dass der Vorsitz des Spielausschusses altersbedingt neu zu besetzen sei. Es liege vieles im Argen und man suche einen engagierten jüngeren Menschen, der Lust habe, die Dinge neu aufzustellen. Mein Klient hatte den Sport früher selbst ausgeübt und über viele Jahre auch seine Kinder in diesem Sportverband begleitet. Er hatte viele Optimierungsansätze erkannt, er wollte es besser machen.

„Ich fand es reizvoll, den Sport für die Aktiven attraktiver zu machen. Ich wollte bessere Voraussetzungen für gute Leistungen schaffen, die Sportler erfolgreicher machen und Erfolge feiern. Ich hatte Lust zu gestalten, Spaß an Veränderung. Mir wurde suggeriert, dass alle anderen jemanden suchen, der die Dinge verändert und vorantreibt. Ich dachte alle wollen mehr Erfolg und sind bereit, mitanzupacken. Doch so kam es ja nicht…“.

Jetzt waren wir der Lösung schon ganz nah. Noch ein paar weitere Fragen und mein Klient erkannte, was ihn zurückhielt. Es waren seine Ansprüche an sich selbst. Er wollte nicht aufgeben, wofür er angetreten war. Er besann sich auf die Ziele, die er erreichen wollte. Er würdigte, was er alles versucht hatte, um diese zu erreichen. Er prüfte, ob es weiterhin möglich war, seine Ziele zu erreichen und was er dafür tun müsste.

„Wie fühlt es sich an, wenn Du Dir bewusst machst, dass Du es selbst bist, der Deinen Rücktritt verhindert?“ Er musste einige Momente darüber nachdenken, doch dann erkannte er, dass es eine wertvolle Kompetenz ist, über die er verfügt. Die Kompetenz sich selbst treu zu bleiben, nicht einfach der Schnelllebigkeit nachzugeben und beim ersten Widerstand aufzugeben. Er kämpfte für seine Ideen und für seine Ziele – das fühlte sich für ihn gut an.

Wir machten schließlich eine Pro- und Contra-Tabelle auf einem Flipchart. Was sprach dafür, weiterzumachen und zu versuchen, seine Ideen noch umzusetzen und seine Ziele zu erreichen. Was sprach dafür aufzuhören. Eine Entscheidung traf mein Klient an diesem Abend nicht, diese fiel erst eine Woche später.

Er trat schließlich zurück und als er mir seine Entscheidung am Telefon mitteile, sagte er: „Es war plötzlich so klar, so einfach und es viel mir mit einem Mal ganz leicht, obwohl ich so lange gezaudert habe.“

Wir tun uns oft schwer, Dinge zu beenden, weil es sich nach scheitern anfühlt. Wir wollen nicht aufgeben, es fühlt sich nach Niederlage an und wer verliert schon gern? In solchen Momenten ist es wichtig, sich zu erinnern, warum man begonnen hat. Wofür ist man angetreten? Wenn man dann zu dem Ergebnis kommt, alles getan zu haben, die eigenen Ziele zu erreichen, dann ist es oftmals leichter aufzuhören. Man trifft dann eine neue Entscheidung unter neuen Voraussetzungen. Wenn das, wofür man angetreten ist, nicht mehr möglich ist, muss man auch nicht mehr weitermachen. Man kann aufhören, ohne schlechtes Gewissen, ohne Groll und ohne Reue. In vielen Fällen wird man vielleicht auch weitermachen und das ist auch gut so, denn leichtfertig etwas aufzugeben, wofür man aus Überzeugung angetreten ist, wäre schade. Es sich selbst nicht leicht zu machen, ist eine wertvolle Kompetenz.

Wie geht es Ihnen gerade?
Würden Sie gerne „etwas hinschmeissen“?

Haben Sie sich das gründlich überlegt?

Warum haben Sie seinerzeit damit angefangen?

Sind Ihre Ziele noch möglich?

Treffen Sie die richtige Entscheidung.

Arbeitswelt und Führung: aktuelle Trends und Umfragen, Ausgabe 23.06.2022

Wie schon häufig, so liegen auch in diesem Sommer weniger Studienergebnisse vor als dies in anderen Jahreszeiten der Fall ist. Daher belasse ich es in diesem Monat bei diesem kurzen Blogartikel, der nicht als Podcast erscheint.

Die Karriereplattform Jobteaser kommt in einer Befragung mit 3.200 Teilnehmenden in Deutschland und Österreich zu dem Ergebnis, dass sich aktuell offenbar viele junge Menschen Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen. Die befragten jungen Talente sorgen sich vor allem um die Zukunft ihrer Karriere, was 78% der Studierenden und gar 87% der Absolventinnen und Absolventen auf Jobsuche angaben. Die Hälfte der Befragten hat gar Angst, seinen Lebensunterhalt nicht finanzieren zu können und 48% haben Angst, dass gar nicht genug Jobs vorhanden sein könnten. Die aktuellen Entwicklungen auf der Welt, wie eine für viele Menschen erstmalig erlebbare Inflation oder ein Krieg in Europa gehen also alles andere als spurlos an jungen Menschen vorbei. Auch Corona hinterlässt Spuren: In Zeiten, in denen Onboarding vor allem virtuell stattfindet, haben 20% auch Angst im Unternehmen bzw. in ihrem Team gar nicht Fuß fassen zu können.

Das Trendence Institut hat sich in einer großen Befragung von 5.400 Teilnehmenden dem Thema Arbeitszufriedenheit zugewandt. Im Ergebnis zeigten sich 53% der befragten Führungskräfte aktuell im Job zufrieden, 26% sogar sehr zufrieden. Bei Mitarbeitenden ohne Führungsfunktion fielen diese Werte mit 48% bzw. 20% etwas niedriger aus. In jedem Fall sollten Arbeitgeber aus diesen Zahlen aber nicht den Schluss ziehen, dass ihre Mitarbeitenden nicht abwanderungsgefährdet sind, denn der Markt wird offenbar trotzdem gut sondiert. 35% der Befragten zeigten sich offen für Angebote und weitere 26% sondieren zumindest von Zeit zu Zeit regelmäßig den Arbeitsmarkt. 13% gaben an, aktiv auf der Suche nach einer neuen Herausforderung zu sein. Es wäre also fatal aus den aktuellen Zufriedenheitswerten zu schließen, dass kein Abwanderungspotential besteht. Nach wie vor zeigte sich in dieser Befragung übrigens das Gehalt als Hauptgrund, warum ein Stellenwechsel in Betracht gezogen würde: 67% würden für mehr Geld den Arbeitgeber wechseln.

Zum Schluss noch ein Studienergebnis, dass wir besonders gefällt, weil es auf einen Leitsatz, den ich immer wieder verwende, einzahlt: „Weniger ist mehr!“

Eine Professorin an der Darden School of Business in den USA hat Experimente durchgeführt und herausgefunden, dass Menschen das Potential der Subtraktion deutlich unterschätzen. Anders ausgedrückt, wir neigen viel mehr dazu, mehr zu tun bzw. etwas hinzuzufügen als etwas wegzulassen, obwohl das zum gleichen oder gar einem besseren bzw. effizienteren Ergebnis führen würde. In einem Experiment sollten die Probanden beispielsweise eine Legoplattform stabilisieren, was möglich war, indem man einen einzigen Baustein entfernte. 59% der Probanden fügten aber lieber mehrere Bausteine hinzu. Diverse weitere Experimente führten zu vergleichbaren Ergebnissen, so dass die Studienautorin zu dem Ergebnis kommt: „Menschen übersehen systematisch Möglichkeiten, die Welt durch Subtraktion zu verändern.“

“Wenn es besser werden soll, muss es leicht sein!”
Thomas Baschab

Also: Wir alle sollten erstmal schauen, ob man nicht einfach etwas weglassen bzw. etwas nicht mehr tun könnte, bevor wir die Dinge immer komplexer und schwieriger gestalten.

Hurra, am besten wir fangen sofort damit an…!

Alle zitierten Studien wurden veröffentlich in der Juliausgabe von manangerseminare.

Der MP Impuls zur Selbstreflexion vom 11.06.2022: Glücklich sein

„Ich möchte ein glückliches Leben führen!“

Das sagte vor ein paar Wochen einer meiner Coachingnehmer zu mir. Er war – wie man schon erahnen kann – im Moment alles andere als glücklich. Er hatte berufliche, familiäre und gesundheitliche Probleme, alles war gerade etwas zu viel. Kein Wunder, dass er nicht glücklich war.

„Ok, was macht Dich glücklich?“, fragte ich meinen Klienten und der sah mich schweigend an.

Mein Klient soll nur der kurze Aufhänger für diesen Beitrag sein, ich möchte auf ihn nicht weiter eingehen. Bei ihm konnte ich sehr gut verstehen, dass er gerade nicht benennen konnte, was ihn glücklich macht, zu groß waren seine Sorgen. Doch das, was sich auch bei ihm in diesem Moment zeigte, habe ich inzwischen oft erlebt: Alle Menschen suchen das Glück und wollen glücklich sein und wenn ich dann Sie dann frage, wonach sie konkret suchen, bekomme ich keine Antworten.

Was macht uns glücklich? So oft wird diese Frage gestellt, so viele Bücher handeln davon, sogar eine eigene Forschung, die Glücksforschung, befasst sich damit. Und damit ich bitte nicht falsch verstanden werde: Die Ergebnisse sind sehr interessant und spannend. Ich lese immer wieder darüber.

Für mich ist dennoch schon die Frage, was macht uns glücklich, falsch. Es gibt nichts, was uns glücklich macht, denn Glück ist individuell. Es gibt nur mein Glück, Ihr Glück und das eines jeden einzelnen. Deshalb ist für mich die Suche nach dem Glück immer gleichbedeutend mit einer Einladung zu der interessantesten Reise, die man im Leben antreten kann: Die Reise zu sich selbst!

Auch meinen oben erwähnten Klienten habe ich eingeladen, die Reise anzutreten, was er gerne tat. Wir müssen zunächst über uns selbst lernen, dann erst finden wir alle unser Glück. Diese Reise ist nicht einfach und sie geht auch nicht schnell. Sie geht nicht in einer Etappe und sie muss vielleicht im Laufe der Zeit wiederholt werden. Sie ist das Gegenteil einer All-inklusiv-Pauschaleise. Die Erkenntnisse über mich selbst wachsen nicht wie reife Früchte auf den Bäumen, die einfach nur gepflückt werden müssen. Manche Erkenntnisse sind sogar tief vergraben und müssen mühsam gesucht und ausgegraben werden. Ohne diese Erkenntnisse aber ist das Glück nicht zu finden.

„Ach ja und übrigens: Wenn ich dann endlich glücklich bin, dann möchte ich es für immer bleiben!“

Ja, wer würde nicht gerne für immer glücklich sein? Aber wie wollten Sie feststellen, dass Sie gerade glücklich sind, wenn es keinen anderen Zustand mehr für Sie gibt? Glücklich ist man hoffentlich immer wieder, aber niemals ständig. Das Glück ist kein Dauerzustand, hoffentlich aber ein häufiger.

Drei wesentliche Erkenntnisse gewannen fast alle meine Klienten und auch ich selbst auf der Suche nach dem glücklichen Leben:

Die erste Erkenntnis, zeigt sehr schön sich einem Zitat von Buddha, der gesagt hat:

Glücklich zu sein hat vor allem mit uns selbst zu tun, mit der Erkenntnis, was uns guttut. Das sind, zumindest in unserer gut situierten westlichen Welt, nur selten materielle Dinge. Auch die Glücksforschung zeigt uns seit vielen Jahren, dass die glücklichsten Menschen nicht in den reichsten Ländern dieser Erde leben.

Die zweite Erkenntnis bringt ein berühmtes Zitat von Wilhelm Busch gut zum Ausdruck:

Damit kommt vor allem eine innere Haltung zum Ausdruck, denn wer das Glück sucht, der muss zu allererst bereit sein, es auch finden zu wollen. Erst wenn ich mit voller Achtsamkeit durch die Welt gehe, werde ich es finden. Denn das Glück ist meist schon da, ich muss es nur sehen. Das fällt vielen Menschen verständlicher Weise heute schwer, weil der Stress zu groß, der Terminkalender zu voll und der Blick mit Problemen verstellt ist. Der Weg zu Glück, führt daher immer zuerst zu mir selbst zurück.

Ich gebe Ihnen dazu ein kleines Beispiel aus meinem eigenen Erleben, das sich gerade vor ein paar Tagen zugetragen hat. Es fällt mir spontan ein, weil ich auf eine Frage meiner Frau eine Antwort gegeben habe, nach der sie gar nicht gefragt hat. Ich war schon ein paar Stunden auf, als sie morgens zu mir auf die Terrasse kam und mich fragte: „Geht es Dir gut?“
Ich sagte: „Und wie: Die Morgensonne scheint, der frische, heiße Kaffee schmeckt wunderbar, die Vögel zwitschern und sonst ist es still, die Eichhörnchen huschen durch den Garten – mehr brauche ich nicht zum Glücklichsein.“

Sie merken, es geht nur um mich. Es ist mir egal, was jemand anderes darüber denkt, ich wurde gar nicht danach gefragt, aber ich war in diesem Moment glücklich. Wahrscheinlich hat auch die Anwesenheit meiner Frau unbewusst dazu beigetragen, auch wenn ich das nicht gesagt habe. So ist es übrigens sehr oft, viele Dinge finden in unserem Unterbewusstsein statt und gerade das macht es nicht einfacher, sich wirklich bewusst zu werden, was uns glücklich macht.

Ich erlebe aktuell so viele Menschen, die nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie geradezu daraufhin fiebern, einige Dinge endlich wieder tun zu können: Konzerte besuchen, große Partys feiern, reisen und vieles mehr. Es ist vielleicht auch eine Zeit, die gut geeignet ist, sich zu fragen, was von alledem macht mich wirklich glücklich? Was führt mich zu mir, was ist nur Schein.

Schließlich bleibt noch die dritte Erkenntnis, dass Glücklichsein kein Dauerzustand ist. Glücklich ist man im Moment und je häufiger diese Momente des Glücklichseins sind, desto glücklicher ist das Leben. Ein Dauerzustand ist Glücklichsein nicht.

Für mich ist es inzwischen ein sehr angenehmer Zustand, zu wissen, dass die Reise zu mir und damit zum Glück niemals zu Ende sein wird. Ich werde immer über mich dazu lernen, mein Bewusstsein und meine Achtsamkeit weiterentwickeln und so immer wieder das Glück finden. Wahrscheinlich vor allem dann, wenn ich es gar nicht bewusst gesucht habe.

Nun sind Sie an der Reihe:

Was macht Sie glücklich?

Ich weiß, es ist unfair, Ihnen gleich diese „Monsterfrage“ zu stellen. Sehen Sie es als Einladung, die Reise zu sich selbst und damit zum Glück heute zu beginnen, falls Sie es nicht längst getan haben. Und wenn Sie möchten, fangen Sie mit ein paar Fragen an, die vielleicht etwas leichter zu beantworten sind.

Was tut Ihnen gut?

Was wärmt Ihre Seele?

Was können Sie besonders gut genießen?

Was von dem, was Sie schon lange nicht mehr getan haben, möchten Sie unbedingt mal wieder tun? Warum?

Was möchten Sie unbedingt vermeiden, weil es Ihnen nie gutgetan hat?

Ich wünsche Ihnen eine wunderbare, spannende und erfüllende Reise!

Arbeitswelt und Führung: aktuelle Trends und Umfragen, Ausgabe 28.05.2022

Trotz der Corona-Pandemie mit all ihren Herausforderungen der letzten zwei Jahre haben in Deutschland nur wenige Menschen Angst um ihren Job. Seit 2011 wird der DGB-Index „Gute Arbeit“ erhoben, für dessen aktuelle Ausgabe in 2021 6400 Beschäftigte befragt wurden. 70% von ihnen machen sich nie und 21% nur selten Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Damit stieg der Index trotz Corona auf einen Indexwert von 79 Punkten an. Aktuell machen sich also nur wenige Menschen Sorgen um ihren Job.

In dieses Bild passt auch, dass die Arbeitgeber sich auf selbstbewusste Bewerber einstellen müssen. Aus dem aktuellen Jobwechsel-Kompass der Königsteiner Gruppe, die dafür im Januar 2022 500 Beschäftigte in Deutschland befragt hat, geht nämlich ein deutlicher Anstieg der Befragten hervor, die ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt positiv einschätzen. Gegenüber dem November 2021 – also in nur drei Monaten – stieg dieser Wert um 12 Prozentpunkte auf jetzt 60% an. Jeder fünfte Befragte glaubt sogar, besonders gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben, wenn er oder sie sich jetzt nach einem neuen Job umschauen würde. Besonders auffällig ist, dass insbesondre junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit 72% ihre Chancen positiv einschätzen. Noch höher liegt dieser Wert mit 77% in der Gruppe der 30-39-jährigen. Arbeitgeber müssen sich also darauf einstellen, dass sie sowohl inhaltlich und wohl auch finanziell Überzeugungsarbeit für ihr Unternehmen leisten müssen, wenn Sie die richtigen Arbeitskräfte für Ihr Unternehmen gewinnen wollen.

Wie sieht es eigentlich mit der aktuellen Arbeitszufriedenheit aus und wie hat sich diese durch die Corona-Pandemie verändert. Dieser Frage ist forsa im Auftrag von Xing E-Recruiting nachgegangen. Das Ergebnis fällt unterschiedlich aus: Während 18% der Männer den Eindruck hatten, dass sich Corona negativ auf ihre berufliche Situation ausgewirkt hat, waren es bei Frauen mit 28% deutlich mehr. Leider sind aus der Veröffentlichung keine Gründe ersichtlich. Wenig verwundern kann einen die Konsequenz dieser Zahlen: Die Anzahl der Frauen, die sich aktuell einen Jobwechsel vorstellen können, ist im Vergleich zu 2021 um sechs Prozentpunkte auf 38% gestiegen. Also Arbeitgeber: Augen auf, wie es insbesondere Euren Leistungsträgerinnen gerade so geht – es droht Abwanderungsgefahr!

Schon so oft habe ich in diesem Blog darauf hingewiesen, dass Selbstreflexion eine der wichtigsten Kompetenzen für Führungskräfte ist. Es vergeht nämlich kaum ein Monat, in dem nicht eine Studie vorgelegt wird, in der die Einschätzung der Führungskräfte deutlich positiver ausfällt als die der Mitarbeitenden. Eine „heile Welt“ nützt aber nichts, wenn sie nur ein Selbstbild ist und nicht mit der von den Beschäftigten wahrgenommenen Realität übereinstimmt. So werden nämlich die notwendigen Schritte nicht eingeleitet, die wichtigen Themen nicht angepackt und folglich die Mitarbeitenden eher demotiviert. Auch in diesem Monat liegt wieder eine solche Studie auf dem Tisch.

Der Ethik- und Compliance-Berater LRN hat 7.500 Menschen in 14 Ländern zur Kultur ihrer Unternehmen befragt. Das Gefühl der Zugehörigkeit zum Unternehmen schätzten dabei z.B. 83% der Unternehmensleiter als besonders hoch ein. Bei den Mitarbeitenden ohne Führungsverantwortung waren es zehn Prozentpunkte weniger. Sehr vergleichbare Werte ergaben sich auch für Vertrauen und Transparenz. Wir sehen wieder einmal, wie wichtig ehrliches Feed-Back auf allen Ebenen in den Unternehmen ist, denn andernfalls könnte die ein oder andere Führungskraft böse Überraschungen erleben. Es ist also gut und hilfreich, auch sich selbst immer mal wieder in Frage zu stellen.

Schon vor 10 Jahren habe ich Vorträge zum Thema Work-Life-Balance gehalten, in denen moderne „Verfolger“, also z.B. immer blinkende Smartphones, eine große Rolle spielten. „Ich kann nicht abschalten“, ist bei mir bis heute ein häufig vorgetragenes Coachinganliegen.

Da freut es mich in einer Studie des Verbands für Fach- und Führungskräfte (DFK) zu lesen, dass doch zumindest einige Führungskräfte inzwischen Fortschritte in diesem Bereich gemacht haben. Von den 600 Befragten sagten immer noch 75%, dass sie unter der Woche auch abends noch erreichbar sind. 2012 waren das allerdings noch 90% – die Tendenz geht also in eine gute Richtung. Am Wochenende fällt die Tendenz noch deutlicher aus: Waren 2012 noch 70% erreichbar, sind es aktuell noch 47% und ich bin ziemlich sicher, dass wir hier bereits deutliche Auswirkungen des Wertewandels in den jüngeren Generationen sehen. Ähnlich sind die Zahlen bei der Erreichbarkeit im Urlaub, die von 60% (2012) auf 43% zurückgegangen sind. Knapp ein Viertel der Befragten hat erklärt, für sich eine klare Grenze zu ziehen und außerhalb der Arbeitszeiten gar nicht zur Verfügung zu stehen. Eine so klare Aussage tätigten 2012 nur 5%. Der Wandel ist also in vollem Gange und offenbar können sich viele Führungskräfte heute besser abgrenzen als noch vor 10 Jahren. Dazu trägt sicher die zunehmende Digitalkompetenz bei, zu der es auch gehört, die Geräte ruhen zu lassen. Und dennoch sind die Zahlen derer, die sich gesundheitlich beeinträchtigt fühlen, noch immer zu hoch. 49% der Befragten können angesichts der heutigen digitalen Medien schlecht abschalten und 45% sehen darin eine gesundheitliche Belastung. Es ist ein schwacher Trost, dass diese Zahlen vor 10 Jahren noch deutlich höher lagen (78% konnten schlecht abschalten, 67% sahen darin eine gesundheitliche Beeinträchtigung). Das Thema wird also sicher noch eine Weile ein Arbeitsfeld im Coaching bleiben. Ich halte übrigens nicht viel von dem immer wieder mal aufkommenden Ruf nach verbindlichen oder gar gesetzlichen Regelungen im Unternehmen. Viel zu unterschiedlich gehen Menschen mit dem Thema um, es braucht individuelle Lösungen und die kann nur jeder für sich selbst schaffen. Für mich sind wir hier klar im Bereich der Selbstverantwortung.

Zum Schluss noch kurzer Blick auf eine DIHK Umfrage zum Stand der Digitalisierung in Deutschland. Diese kommt – salopp formuliert – nicht voran. Befriedigend bewerteten die befragten Unternehmen auf einer Schulnotenskala den aktuellen Stand der Digitalisierung und mit 2,9 lag der Durchschnittswert unverändert auf Vorjahrsniveau. Ernüchternd, könnte man sagen und natürlich fragt sich, woran das liegt. Die Komplexität vorhandener Systeme wurde mit 39% als größter Hemmschuh genannt, gefolgt von mangelnden zeitlichen Kapazitäten mit 36% und hohen Kosten mit 34%. Es geht also nicht voran, obwohl alle immer wieder die Wichtigkeit des Themas und die zahlreichen damit verbundenen Chancen und Vorteile betonen. Ich lasse das mal unkommentiert.

Ich finde es spannend zu sehen, wie die Auswirkungen des Wertewandels und die Veränderungen der Arbeitswelt durch die Corona-Pandemie immer deutlicher sichtbar werden. Die Herausforderungen für Unternehmer und Führungskräfte werden nicht geringer werden. Spannende Zeiten!

Alle zitierten Umfragen wurden veröffentlicht in der Juni-Ausgabe von managerseminare.

Das Team von MP stockt seine Tierpatenschaften im Wildpark Eekholt auf

Seit mehreren Jahren unterstützt das Team von MP den wunderbaren
Wildpark Eekholt durch Tierpatenschaften. In diesem Jahr haben wir unser Engagement nicht nur verlängert, sondern um eine weitere Patenschaft aufgestockt. Inzwischen freuen wir uns über drei Tierpatenschaften in Eekholt.

Als Coaches ist es immer wieder Teil unserer Arbeit, Menschen mit sich selbst in Kontakt zu bringen, das eigene Erleben bewusst zu machen, zu spüren, wer ich bin und was mit gut tut. Solche Prozesse unterstützt die Natur mit ihrer Schönheit und Vielfalt immer wieder auf besondere Weise. Unsere Natur zu erhalten und vor allem sie für alle Menschen – von klein bis groß – erlebbar zu machen, ist eine Aufgabe, für die wir uns alle engagieren sollten.

Der Wildpark Eekholt ist eine wunderbare Institution in unserer Region, die sich genau dieser Aufgabe verschrieben hat. Die Natur kann man dort in wunderbarer Weise erleben, so dass wir diese Institution sehr gerne unterstützen.

Vielleicht möchten Sie auch Partner des Wildparks Eekholt werden?

Dann finden Sie weitere Informationen zu den Kooperationsmöglichkeiten hier.

Arbeitswelt und Führung: aktuelle Trends und Umfragen, Ausgabe 07.05.2022

Immer mehr scheinen sich die Indizien zu verdichten, dass – wo immer es von der Art der Arbeit her möglich ist – hybrides Arbeiten die präferierte Arbeitsform der Zukunft sein wird. Schon heute ist die Mehrheit der Deutschen, die in Berufen tätig ist, in denen Arbeitsort und -zeit flexibel gestaltet werden können, hybrid tätig.

Die Ergebnisse der aktuellen, globalen Pulse-Studie des Future Forums zeigen für Deutschland eine „Hybrid-Quote“ von 62%, die damit um vier Prozentpunkte über dem globalen Durchschnitt liegt. Damit liegt die Quote immer noch deutlich unter den Wünschen der Mitarbeitenden, denn von diesen wünschten sich sogar 81%, hybrid arbeiten zu können. Besonders viel im Büro arbeiten übrigens nach wie vor die Führungskräfte: 71% der weltweit befragten Führungskräfte arbeiten derzeit drei oder mehr Tage pro Woche im Büro. Und drei von vier Führungskräften, die aktuell im Homeoffice arbeiten, können sich deutlich mehr Zeit im Büro gut vorstellen – ein krasser Gegensatz zu den Mitarbeitenden ohne Leitungsverantwortung, da waren es nur 33%.

Für das Arbeiten im Homeoffice wünschen sich die Beschäftigten mehr finanzielle Unterstützung von ihren Arbeitgebern. Das Trendence-Institut hat 1.800 Menschen befragt und herausgefunden, dass nur 19% Zuschüsse zur Homeoffice-Ausstattung erhalten haben. Zuschüsse zu den laufenden Kosten erhalten nur 9%. Die Erwartungshaltung liegt da doch deutlich höher, denn 38% halten Zuschüsse für PC-Ausstattung und schnelles Internet  für angemessen. Ein Viertel wünscht sich außerdem eine Beteiligung des Arbeitgebers an einer ergonomischen Büroausstattung. ‚Viele Wünsche‘, könnte man meinen, doch realistisch betrachtet, wird man sich annähern müssen, wenn hybrides Arbeiten wirklich die Zukunft ist. Jedenfalls dann, wenn man seine guten Leute binden oder neue gewinnen will.

Denn schon jetzt leidet das Teamklima unter den Auswirkungen der Pandemie. In einer Befragung der HR-Beratung Königssteiner-Gruppe beklagten 26% der Befragten, dass das Teamklima und insb. der Zusammenhalt im Team unter der Krise leiden. Bei jüngeren Mitarbeitenden waren es gar 30%. Homeoffice und Videokonferenzen seien zwar produktiv, aber offenbar weniger geeignet, das Wir-Gefühl und den Zusammenhalt zu stärken. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass virtuelle Führung für viele Führungskräfte eine neue Herausforderung darstellt. Wie wichtig dieses Wir-Gefühl ist, zeigt die Einordnung der Befragten in Bezug auf andere Elemente des Arbeitslebens. 56% der Befragten setzten die Bedeutung des Wir-Gefühls mit ihrem Gehalt gleich, gar 64% mit dem Verhalten ihrer Führungskräfte. 61% empfanden es ebenso wichtig wie ihre individuellen Weiterbildungsmöglichkeiten. Für die Arbeitszufriedenheit und damit die Identifikation mit und die Bindung an den Arbeitgeber ist das Team- bzw. Wir-Gefühl an Bedeutung also kaum zu überschätzen.

Dieser Aspekt nochmals bedeutender, wenn man einen Blick auf die momentane Wechselbereitschaft der Beschäftigten legt. Diese ist aktuell sehr hoch, wie ich bereits in früheren Blogbeiträgen dargelegt habe. Xing-Recruiting hat in der DACH-Region aktuell 2.523 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befragt und kommt zu dem Ergebnis, dass sich aktuell 37% (vier Prozentpunkte mehr als im Vorjahr) der Beschäftigten vorstellen können, den Arbeitgeber zu wechseln oder dies bereits in die Wege geleitet haben. Spannend ist dabei, dass offenbar auch die Risikobereitschaft der Beschäftigten gestiegen ist. Von den Beschäftigten, die tatsächlich gekündigt haben, hat nämlich jeder Vierte gekündigt, ohne eine neue Stelle in Aussicht zu haben. Die Menschen sind ganz offenbar also nicht mehr bereit, sich „alles gefallen zu lassen“. Die Hauptgründe über eine Kündigung nachzudenken, waren in dieser Studie:

  • Besseres Gehalt 42%
  • Unzufriedenheit mit der Geschäftsführung 38%
  • Unzufriedenheit mit der direkten Führungskraft 30%
  • Interesse an einer anderen Tätigkeit 31%
  • Fehelende Sinnhaftigkeit im Job 26%

Doch wie sah es dann tatsächlich bei denen aus, die auch wirklich gekündigt haben? Für mich wenig überraschend zeigt sich ein anderes Bild, das nicht vom Gehalt dominiert wird. Für die tatsächliche Kündigung gaben die Befragten folgende Gründe an:

  • Unzufriedenheit mit der Führung 28%
  • Work-Life-Balance stimmt nicht 27%
  • Möchte andere Tätigkeit ausüben 24%
  • Gehalt verbessern 19%

Und so zeigt auch diese Studie wieder einmal: Über Gehalt wird viel gesprochen, im Zweifel ist und bleibt es aber nur ein klassischer Hygienefaktor (nach Herzberg). Für die Bindung guter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, eine gute Stimmung, Motivation und Arbeitszufriedenheit sind andere Faktoren deutlich mehr von Bedeutung.

Angesichts von vielen Arbeitgeberwechseln verwundert es nicht, dass auch im Bereich der Personalabteilungen die Nachfrage nach qualifiziertem Personal gestiegen ist. Dem Fachkräfte-Index des Recruiting-Unternehmens Hays zu Folge hat die Nachfrage nach HR-Fachkräften von allen Bereichen am stärksten zugenommen. Vom dritten zum vierten Quartal 2021 stieg dieser Index um 80 Punkte auf 310 Punkte an (Basis 2015=100). Über alle Branchen hinweg war die Nachfrage damit im vierten Quartal 2021 fast doppelt so hoch wie von der Pandemie, also im vierten Quartal 2019. Gute Aussichten also für HR-Fachkräfte sich aktuell eine lukrative und gut bezahlte Stelle aussuchen zu können.

Zum Schluss noch ein anderes Thema, welches die Bertelsmann Stiftung aufgegriffen hat. Sie setzte sich in einer Befragung von 1.026 Führungskräften mit der Frage auseinander, ob es in den Unternehmen eine Geschlechterbenachteiligung gibt oder nicht. Die Ergebnisse fallen sehr eindeutig aus, sind aber nur bedingt ein Grund zum Jubeln:

  • 82% gaben an, in ihrem Unternehmen keine Geschlechterkonflikte zu erleben.
  • 77% glauben, dass in ihrem Unternehmen das Gehalt unabhängig vom Geschlecht gezahlt wird.
  • 70% glauben, dass Diskriminierung bei Neueinstellungen und Beförderungen effektiv vermieden wird.

Kein Wunder also, dass viele verbindliche Regelungen, z.B. Frauenquoten oder gendergerechte Sprache für überflüssig und die Diskussion darüber gar für kontraproduktiv halten.

Einen Unterschied in der Bewertung zwischen männlichen und weiblichen Führungskräften stellten die Studienautoren übrigens nicht fest! Wohl aber einen Unterschied je nach hierarchischer Position im Unternehmen: Je höher die Befragten in der Hierarchie standen, desto weniger Handlungsbedarf sahen sie! Ganz nach dem Motto: „Wo ich das Sagen habe, ist natürlich alles in Ordnung.“

„Das schreit doch alles nach einem Realitätscheck!“, möchten Sie ausrufen? Das kann ich verstehen und genau zu diesem Ergebnis kommen auch die Autoren dieser Studie. Nur liefern sie diesen Realitätscheck leider nicht.

Ich sehe mich außer Stande, die Einschätzungen der Führungskräfte zu widerlegen. Genauso sehe ich mich außer Stande, sie zu bestätigen. Bestätigt sehe ich mich allerdings wieder einmal in meiner These, die mich schon dazu veranlasst hat, zwei Bücher in meiner Reihe „Das knallrote Cabrio“ zu schreiben: Eine der wichtigsten Fähigkeiten für Führungskräfte ist die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion.

Alle Studien wurden veröffentlicht in der Ausgabe 5/2022 von managerseminare.

Der MP Impuls zur Selbstreflexion vom 16.04.2022

Ich spiele sehr gerne Darts. Aktuell spiele ich mangels eines vorhandenen Gegners ein Trainingsspiel gegen den Robot, einen virtuellen Gegner auf dem Tablet.

Ich schaue auf mein Scoreboard und habe 99 Punkte Rest. Ich ärgere mich, denn 99 ist ein Finish, dass man sich als Darts-Spieler nicht gerne stehen lässt. Es ist die einzige zweistellige Zahl, die man nur mit drei Pfeilen auf Null spielen kann, denn es gibt keine Möglichkeit, mit nur einem geworfenen Pfeil auf eine gerade Zahl zu kommen, die ein Finish ermöglicht. Das wären Zahlen von 40 und kleiner oder eben 50 für das sogenannte Bullseye -Finish – nichts davon geht. Also kann man nur mit drei Pfeilen auf Null kommen, was wiederum bedeutet, ich werde – im besten Fall – nur eine Chance auf das acht Millimeter breite Doppelfeld, das am Ende eines jeden Lecks unbedingt getroffen werden muss, um zu gewinnen, bekommen. „Du Depp“, ärgere ich mich. „Jetzt spielst du schon ungefähr 10 Jahre Darts, und immer wieder passiert dir so ein Rechenfehler.“

Manchmal landet einfach ein Pfeil, nicht da, wo er sollte, und dann hat man ein Finish, das man gar nicht wollte. Das gehört dazu und passiert. In meinem Fall war es aber so: Ich habe einfach schlecht gerechnet. Es war, wie die Darts-Spieler sagen, ein „Miscount“. Nun habe ich also 99 Rest. Mein virtueller Gegner wird wahrscheinlich seine Zahl nicht auschecken und im Hintergrund höre ich die Stimme vom Tablet gerade sagen: „Eightyfive!“ Damit ist klar, ich komme nochmal dran.

Ich schaue auf das Scoreboard, mein virtueller Gegner hat noch 40 Punkte Rest, was bedeutet, wahrscheinlich wird er mit der nächsten Aufnahme dieses Leg beenden. Ich bin also unter Druck, wenn auch nur gegen mich selbst. Die 99 Punkte müssen weg. Eben habe ich mich noch geärgert, aber mit Ärgern kann man nicht Darts spielen. Dann fliegen die Pfeile ganz schlecht und in diesem Moment sagt der virtuelle Caller auch schon: „Mario, you require 99.“ Mario, Du hast noch 99 Punkte, die gelöscht werden müssen. Also muss ich mich neu orientieren: Fokus auf den Weg. Ich entscheide mich für Triple 19, 10, Doppel 16. Wie fast immer im Darts gibt es viele Wege, die 99 Punkte zu löschen, und viele Doppel, die man am Ende spielen kann. Eigentlich spiele ich Doppel 16 gar nicht so gerne. Ich bin Linkshändler und das Doppel liegt links unten auf dem Bord. Die linken Doppel unten sind für mich schwieriger zu treffen, aber die Entscheidung steht.

Also Fokus auf das Board, Ärgern ist vorbei. Jetzt ist Konzentration angesagt.

Erster Pfeil: Triple 19 – sitzt! Auch so ein nur acht Millimeter breites Feld und meistens werfe ich daran vorbei.

Zweiter Pfeil: In die große 10 – sitzt! Noch einmal kurz absetzen: Von 10 auf Doppel 16 heißt einmal quer rüber über das Bord auf die andere Seite. Einen einzigen Versuch habe ich.

Dritter Pfeil: Doppel 16 – sitzt!

„Yes!“, entfährt es mir. Wie man sich doch selbst unter Druck setzen kann: Ich spiele ja nur gegen den Computer, aber das ist genau das, was ich möchte, die Simulation des echten Spiels. 99 Punkte gelöscht!

Ich spiele zwar schon viele Jahre Darts, aber ich bin nur ein Hobbyspieler, und ich würde sagen, in etwa acht von zehn Fällen klappt das mit dem 99er Finish eher nicht und ich muss ein weiteres Mal an das Board. Diesmal wäre ich wahrscheinlich nicht mehr dran gekommen, denn ich hatte ja schon gesagt, mein Gegner hatte nur noch 40 Rest. Es ist ein wunderbarer Moment des Erfolges. Ich merke wie das Adrenalin durch meine Adern schießt. Ich freue mich, aller Ärger ist verpufft und der Freude gewichen.

Was war der Schlüssel zum Erfolg?

Zwei Dinge waren der Schlüssel zum Erfolg, erstens: Akzeptanz.
Ich wollte die 99 nicht, aber ich habe mich verrechnet. Ich musste sie akzeptieren. Alles andere war sinnlos, ohne Akzeptanz ging es nicht. Das ist im Darts-Sport immer so: Man muss akzeptieren, was man auf dem Bord geworfen hat und sei es noch so blöd.
Zweiter Punkt: Fokussierung. Alle Konzentration, aller Fokus auf die Aufgabe. Diese Aufgabe heißt: 99 Punkte löschen. Ärger ausblenden, Konzentration hochfahren. Wahrscheinlich spiele ich deswegen so gerne Darts. Es ist eine wunderbare Schule des Lebens. Es geht alles sehr schnell, ich habe nicht viel Zeit zu überlegen. Ich muss viele Dinge automatisiert abrufen können. Ich muss schnell rechnen können. Ich muss die Spielkombinationen, die auf Null führen, auswendig können. Und schließlich muss ich sehr schnell Entscheidungen treffen, wenn man ein Pfeil nicht da landet, wo er landen sollte und ich das korrigieren muss. Es nützt nichts, sich lange zu ärgern, sondern man muss sich immer wieder schnell neu fokussieren und konzentrieren. Man wird aber auch – zumindest ab und zu – durch wunderbare Ergebnisse wie dieses 99er Finish belohnt.

Für diejenigen, die sich im Darts nicht so auskennen, nochmal kurz die Erklärung:

100 wäre ganz anders gewesen. Man hätte die Zahl mit zwei Pfeilen löschen können: Triple 20 = 60 Punkte und Doppel 20 = 40 Punkte. 99 geht eben nur mit drei Pfeilen und ist deshalb viel schwieriger.

Darts ist eine wunderbare Schule des Lebens, für Konzentration, für Fokussierung und für die Fähigkeit, den Ärger ganz kurz aufflammen zu lassen, aber sofort bei Seite zu legen und sich davon nicht vereinnahmen zu lassen. Sonst geht es nämlich nicht, wer sich über sich selbst ärgert, verliert am Bord jede Konzentration und hat keine Chance.

Wie geht es denn Ihnen gerade?

Was müssen Sie gerade akzeptieren?

Worauf möchten Sie sich fokussieren?

Was ist gerade Ihre Schule des Lebens?

Nehmen Sie an, was ist und fokussieren Sie sich auf Ihre aktuelle Aufgabe!

Viel Erfolg wünsche ich Ihnen dabei und natürlich auch ein besonders schönes Osterwochenende.