Peter kannte ich schon einige Zeit, bevor er mich auf ein mögliches Coaching ansprach. Er war Teamleiter in einem großen Konzern und in den letzten Monaten hatte er verstärkt neue Mitarbeiter bekommen. Das war einerseits schön, denn sein Team wuchs und er konnte die vielen Aufgaben endlich auf mehr Schultern verteilen. Andererseits hatten damit auch die Probleme zugenommen, denn Peter fühlte sich als Führungskraft zunehmend unwohl.
„Was konkret bereitet Dir denn dieses Unwohlsein?“, fragte ich ihn. Wie zu erwarten, konnte er das nicht genau beantworten und so näherten wir uns dem Kern der Sache langsam an. In den letzten Monaten hatte er viele junge Leute in sein Team bekommen. Ausgelernte Azubis, Studenten in ihrer ersten Anstellung nach dem Studium. „Die haben frischen Wind ins Team gebracht, das ist schön“, führte Peter aus. „Aber irgendwie sind die so anders als ich, ich weiß auch nicht.“
Peter ging auf die 50 zu und dass die jungen Menschen anders waren, überraschte nicht. So bat ich ihn um ein Beispiel:
„Ich habe zwei der Neuen gebeten, ein Konzept für eine Verbesserung der Schnittstelle zu unserer Nachbarabteilung zu erstellen. Da hakt es manchmal und aus Kundensicht war ich mir sicher, dass wir in der Zusammenarbeit noch besser werden können.“
Soweit so gut, dachte ich bei mir, doch irgendwie sah Peter schon bei dieser Schilderung verkniffen aus. „Was ist daraus geworden?“, fragte ich.
Er habe sich ständig gefragt, ob er das nicht besser selbst gemacht hätte, erklärte er mir. War das nicht seine Aufgabe, die Zusammenarbeit zu managen? Einige Tage habe er schlecht geschlafen und dann wollte er die Aufgabe an sich ziehen, doch es war schon zu spät.
„Peter wir haben schon alles geregelt, das Konzept ist fertig und die Kollegen von nebenan finden es super. Auch Thomas findet es toll – am Montag starten wir mit der neuen Zusammenarbeit, wir müssen es nur noch morgen in unserer Teambesprechung den anderen Teammitgliedern vorstellen.“
Thomas war der Teamleiter des Nachbarteams und Peter war kreidebleich, als er erzählte, dass seine Mitarbeiter auch schon mit ihm gesprochen hatten.
„Du siehst ganz schlecht aus, dabei hast Du sehr selbständige und fähige Mitarbeiter, Du könntest stolz sein, was bedrückt Dich?“ Meine Frage sorgte für einige Augenblicke des Schweigens.
Ich war mit Peter am Kern des Problems angekommen und der Kern lautete Kontrollverlust. Da waren diese Fragen in seinem Kopf:
Warum waren seine Kollegen nicht zuerst zu ihm gekommen, um ihr Konzept vorzustellen?
Was wäre gewesen, wenn das andere Team, die Ideen nicht gut gefunden hätte?
Was wenn Thomas ihn jetzt für unfähig hielt, weil nicht er mit diesen Vorschlägen gekommen war?
Wie sollte das überhaupt weitergehen, wenn seine Mitarbeiter plötzlich so selbständig waren und ihn gar nicht mehr brauchten?
Peter hatte gefühlt die Kontrolle verloren und fühlte sich ganz schlecht damit. Er war es jahrelang gewohnt, die Fäden in der Hand zu haben und sich kleinteilig berichten zu lassen, um dann selbst zu entscheiden. Auch die Kommunikation in andere Bereiche war stets seine Aufgabe gewesen. Und plötzlich drohte ihm alles zu entgleiten, die überzeugenden Ergebnisse freuten ihn nicht, er nahm sie nicht einmal richtig wahr.
So wie Peter geht es gerade vielen Menschen und das aus unterschiedlichen Gründen. Auch die Corona-Pandemie zeigt uns, dass wir nicht immer alles unter Kontrolle haben können. Nicht alles ist planbar, vieles kommt anders als angenommen und das meist sehr schnell. Das oft zitierte agile handeln ist gefragt.
Doch bleiben wir für diesen Impuls bei den Führungskräften, denn Peter steht exemplarisch für viele langjährige Führungskräfte, die aktuell durch die jungen Menschen speziell der Generation Z gefordert werden. Die Jungen sind sehr viel selbständiger, kooperativer und ergebnisorientierter. Sie wollen gestalten und tun dies, oftmals ohne zu fragen. Sie suchen Freiräume und nehmen sie sich. Als Führungskraft kann man nicht mehr „alles unter Kontrolle haben“, sonst demotiviert man seine Mitarbeiter. Das ist nicht leicht zu lernen, aber Führungskräfte müssen sich dieser Aufgabe stellen, wenn sie weiterhin erfolgreich sein wollen. Loslassen, Freiräume geben, Vertrauen haben – was so selbstverständlich klingt, ist für viele Führungskräfte doch so schwer.
Auch Peter musste einige Zeit mit mir an diesem Thema arbeiten.
Nun Sie, haben Sie auch gerne „alles unter Kontrolle“?
Wo tritt bei Ihnen diese Eigenschaft besonders deutlich zu Tage? Im Beruf, in der Familie, im Hobby?
Wie reagiert ihr Umfeld darauf?
Wie geht es Ihnen, wenn etwas Unerwartetes geschieht?
Keine Frage, in vielen Fällen ist es gut, die Kontrolle zu haben. Doch manchmal ist es noch besser, sie bewusst aufzugeben und „es“ einfach geschehen zu lassen. Es fühlt sich leicht und frei an, die Dinge einfach fließen zu lassen und zu schauen, was passiert. Wenn wir ohnehin nicht alles kontrollieren können, warum sollen wir dann ständig nach Kontrolle streben?
Lassen Sie die Dinge doch einfach mal laufen…, vielleicht ja gleich an diesem Wochenende!