Blitzlicht: Führung heute und morgen

Das Beratungsunternehmen Hernstein hat 1500 Führungskräfte in Deutschland und Österreich hinsichtlich ihres Führungsverhaltens befragt. In dieser Studie, die managerseminare in seiner Dezemberausgabe zitiert, setzen 60% der Befragten auf einen agilen Führungsstil und vertrauen auf die Selbstorganisation ihrer Mitarbeitenden. Der in der Corona – Pandemie vielleicht zu befürchtende Rückfall in eine strikt hierarchische Führung, bleibt demnach aus. 20% der Befragten gaben sogar an, ihren Führungsstil hin zu mehr Agilität verändert zu haben.

Allerdings, so eine kleine Einschränkung, wird auch die hierarchische Führung in Teilbereichen als geeignet angesehen. Dies betrifft insbesondere die Themen Wirtschaftlichkeit, Produkt- und Dienstleistungsqualität, Effizienz und Zukunftssicherheit. Immerhin 50% der Befragten hielten bei diesen Themen eine hierarchische Führung für besonders hilfreich.

69% der Befragten finden es deshalb besonders wichtig, den Führungsstil situativ anzupassen und die verschiedenen Führungsstile adäquat einsetzen zu können. Die Mischung macht es also – das ist nicht wirklich eine überraschende Erkenntnis, aber immerhin 35% der Befragten empfinden das als besonders anspruchsvoll.

Nun ja, Führung war noch nie eine leichte Aufgabe.

Agilität lohnt sich!

Zu dieser klaren Aussage kommt eine internationale Untersuchung, die die Hochschule Koblenz unter 600 Teilnehmern/-innen in 20 Ländern durchgeführt hat (Quelle: managerseminare 07/2020).

Nur 9% der Befragten arbeiteten noch vollständig ohne agile Methoden, die meisten der Befragten (43%) arbeiteten hybrid, nutzen also sowohl klassische als auch agile Arbeitsmethoden. Immerhin 20% der Befragten gaben an, bereits vollständig agil zu arbeiten.

Ich habe hier schon mehrfach daraufhingewiesen, dass Agilität kein Selbstzweck und nicht per se in jeder Situation besser ist als klassische Managementmethoden. Es kommt immer auf die Passgenauigkeit von Aufgabe und Methode an.

In der Studie wurden als Ziele für den Einsatz agiler Methoden die Verkürzung von Produktentwicklungen, eine verbesserte Produktqualität und eine Verringerung von Risiken genannt. Beeindruckende 89% der Befragten gaben an, diese Ziele durch den Einsatz agiler Methoden erreicht zu haben.

Agilität lohnt sich!

Schließlich wurde noch die Frage untersucht, warum agile Methoden (noch) nicht flächendeckend eingesetzt werden. Hierfür scheinen in erster Linie die Rahmenbedingungen eine Rolle zu spielen, was man aufgrund des Pauschalbegriffs “Rahmenbedingungen” wohl näher und tiefer untersuchen müsste.

Aber auch die Tatsache, dass sich sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende überfordert fühlen, spielt offenbar eine deutliche Rolle.

Dies legen auch die Ergebnisse einer weiteren Online-Studie nahe, die das Grundl Leadership Institut unter 975 Befragten allerdings nur in Deutschland durchgeführt hat. Dabei wurde untersucht, ob Menschen befähigt sind, auf Basis erkannter Verantwortung, diese auch zu übernehmen und danach zu urteilen und zu handeln.

Selbstverantwortung ist im Rahmen der Aufweichung oder gar Auflösung bisheriger starrer Führungshierarchien, die mit der Anwendung agiler Arbeitsmethoden in der Regel einher geht, von zentraler Bedeutung. Nur wenn immer mehr mehr Mitarbeitende selbst Verantwortung übernehmen und zielgerichtet zum Wohle des Unternehmens ausüben (z.B. die richtigen Entscheidungen treffen), kann agiles Arbeiten seine volle Kraft im Hinblick auf Motivation und Effizienz entfalten.

Die Ergebnisse der Grundl Studie machen da nicht gerade Mut, denn aktuell bringt gemäß den Studienergebnissen nur jeder Vierte diese Fähigkeiten mit, was zu den Vorjahresergebnissen (jeder Dritte) eine deutliche Verschlechterung darstellt.

Die Studienautoren führen dies u.a. auf mangelnde Vorbereitungszeit und mangeldes Empowerment zurück. Werden Menschen nicht ausreichend auf Ihre neuen Anforderungen vorbereitet, führt dies dazu, dass nur Mitarbeiter/-innen, die sich ohnehin schnell selbst in der Verantwortung sehen, besonders durch Verantwortungübernahme hervortun. Dies dürften in vielen Fällen die aktuellen Führungskräfte sein, die gewohnt sind, Verantwortung zu tragen. Alle anderen Mitarbeiter/-innen ziehen sich eher zurück und übernehmen die Verantwortung im Zweifel gar nicht mehr.

Fazit: Agilität kann man nicht verordnen, wie ich das so oft erlebe! Da werden plötzlich ein paar Post-its geklebt und schon sind wir agil! Nein, bei weitem nicht, das machen die Studienergebnisse wieder einmal unzweifelhaft deutlich.

Es gilt, die Menschen zielgerichtet und schrittweise mitzunehmen und damit auch an die neue weit größere Selbstverantwortung zu gewöhnen. Das könnte große Potentiale freisetzen, denn 72% der Befragten haben auch erklärt, sie sähen Verantwortung per se als etwas Positives an. Sie ließe sich also – richtige ausgerollt – wahrscheinlich auf drei Viertel aller Mitarbeiter/-innen verteilen.

Dazu ein letzter Gedanke: Wie immer dürfte dabei dem TOP-Management und den Führungskräften eine entscheidende (Vorbild-) Rolle zu kommen. Wo immer jemand Verantwortung übernehmen soll oder möchte, muss sie auch jemand loslassen, der sie bislang ausgeübt hat. Dazu muss natürlich auch die entsprechende Bereitschaft bestehen und Loslassen ist keinesfalls eine leichte Aufgabe!

Agilität lohnt sich also schon jetzt, könnte man die Überschrift abwandeln und zusätzlich noch noch großes Potential.

Agilität kein Selbstgänger

Einen interessanten Ansatz hat das Beratungsunternehmen Capgemini mit seiner Befragung gewählt, in der weltweit 45 Führungskräfte ausführlich interviewt wurden. Alle stammen aus Unternehmen, die bereits erfolgreich und flächendeckend Agilität in ihren Unternehmen umgesetzt haben. Man könnte also auch von einem Praxisbericht sprechen und solche sind ja zumeist besonders aufschlussreich.

Auch dieser Praxisblick zeigt, dass die erfolgreiche Umsetzung agiler Zusammenarbeit keineswegs ein Selbstgänger und viel eher ein Marathon als ein Sprint ist. Mit schnell schnell geht es nicht, nur mit langem Atem (für die erfolgreiche Umsetzung nachhaltiger Veränderungen nicht unüblich).

Quelle: managerseminare April 2020, S.7

Wieder einmal zeigt sich, dass die Menschen und nicht die Technik die wesentlichen Erfolgsfaktoren auch dieser Veränderung sind. Selbstkritisch haben die befragten Führungskräfte ausgeführt, sie und ihre Kollegen hätten häufig Probleme die neuen Arbeitsweisen zu adaptieren und beispielsweise eine positive Fehlerkultur umzusetzen.

Das ist nur allzu nachvollziehbar, weil viele Menschen lange oder sehr lange in Denk- und Handlungsmustern verhaftet sind, die nicht durch “Schalter umlegen” geändert werden können. Zu bedenken ist vor allem, dass viele Menschen mit ihrer Handlungsweise jahrelang erfolgreich waren und dafür anerkannt und befördert wurden. Die Hirnforscher würden wohl von breiten Bahnungen sprechen, mit denen diese alten Verhaltensweisen in unseren Gehirnen verankert sind. Diese werden keinesfalls dadurch gelöscht, dass jetzt immer lauter und öfter “agil bitte” in die Unternehmen hinein gerufen wird. Vielerorts erlebe ich unglaublich naive Vorgehensweisen: einerseits wird oft so getan, als sei Agilität ein “Wundermittel”, dass immer und in allen Lebenslagen zum Erfolg führt, was natürlich Unsinn ist. Anderseits glauben offenbar einige Unternehmen, man sei schon deshalb agil, weil das jetzt auf jedem internen und externen Papier geschrieben steht.

Es ist daher wohltuend, dass die Studie von Capgemini wieder einmal deutlich macht, dass Agilität nur in einem langfristigen Changeprozess, an dem sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende beteiligt werden, erfolgreich implementiert werden kann. Die Studienautoren geben denn auch vier Tipps für eine erfolgreiche Implementierung:

  • Klein anfangen, z.B. in einem Unternehmensbereich, Erfahrungen auswerten, verbessern, ausweiten
  • Langsamen Kulturwandel durch Verhaltensänderungen erzielen, vorleben durch die Führungskräfte
  • Anpassen der Unternehmensstrategie, was wohl den Abschied von starren jährlichen Planungen und Budgets bedeuten dürfte
  • IT verbessern

Diesen Vorschlägen kann sicher zugestimmt werden, wenn wir diese auch durch einige weitere Vorschläge ergänzen würden. Deutlich wir erfreulicher Weise auch, dass die Zeit in der wenige Manager hinter verschlossenen Türen etwas beschließen, um es dann über die Kaskade auszurollen, vorbei sind! Ein neues Mindset, eine neue Kultur für einen besseren Umgang mit try and error, ausgeprägtere Kundenorientierung und schnellere Entscheidungen und ihre Umsetzung in die Praxis können nur gemeinsam mit Führungskräften und Mitarbeitenden entwickelt werden. Partizipation ist der erste Schritt zu Agilität.

So kann ich an dieser Stelle nur sagen: danke für diesen Praxisbericht!

In diesen Zeiten unerlässlich: Wird dies auch nach Corona noch gelten? Ich glaube sogar mehr denn je, aber die Glaskugel habe ich natürlich mitten in der Krise nicht.

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