Es gibt Menschen die kennen wir alle – zumindest vom Sehen. Sie sind einprägsame Männer und Frauen des öffentlichen Lebens und wir alle sehen Sie fast täglich und so werden Sie Teil unseres Lebens, ohne dass wir eine besondere Beziehung zu Ihnen haben. Zu diesen Menschen gehören ohne Zweifel die Sprecher der “Tagesschau”, die jeden Abend von Millionen Menschen gesehen werden.
Einer der bekanntesten Tagesschausprecher ist Jan Hofer. Für ihn war es nun soweit – am 14.12.2020 sprach er zum letzten Mal die Tagesschau – nach 36 Jahren, was für eine lange Zeit.
“Für mich aber heute heißt es zum letzten Mal:
Guten Abend meine Damen und Herren, machen Sie es gut.”
Und als wären diese Worte nicht bewegend genug nahm Jan Hofer, während er dies sagte, auch noch seine Krawatte ab. Es war eine klare Symbolik, die niemand missverstehen konnte: Ich habe fertig.
[falls Sie es sich ansehen möchten: Jan Hofers letzte Worte als Tagesschausprecher]
Dieser Moment kommt für die allermeisten von uns irgendwann – der letzte Arbeitstag. Jan Hofer war anzumerken, dass sein Beruf für ihn auch Berufung war, dass er viel Wert auf gute Nachrichtenqualität legte und auf seriöse Berichterstattung. Er war sich der Bedeutung bewusst, die seine Worte für viele Menschen jeden Abend hatten. Er wollte es gut machen – er hat es gut gemacht.
Gerade wenn der Beruf auch Berufung war, dann fällt der Abschied oft umso schwerer. Ausgefüllte Tage sind plötzlich leer, gewohnte Abläufe und Routinen greifen nicht mehr. Bekannte Gesichter verschwinden aus dem Alltag und das von einem Tag auf den anderen. Plötzlich wird man “nicht mehr gebraucht” und alles läuft auch ohne einen weiter wie bisher.
Für viele Menschen ist das kein leichter Moment. Der Beruf bringt oft nicht nur die geregelten Tagesabläufe, sondern auch viel Anerkennung und soziale Kontakte mit sich. Viele meiner Coachingnehmer sind sich sehr bewusst, dass sie zahlreiche Einladungen zu Veranstaltungen oder Festen nicht ihrer Person, sondern nur ihrer Visitenkarte verdanken. Keine Karte mehr, keine Einladungen.
Und noch ein Aspekt ist beachtenswert. Ist der Beruf auch Berufung, dann arbeiten viele Menschen weit mehr als die vorgeschriebene Arbeitszeit. Es macht Ihnen Freude und Zeit ist nicht wichtig, denn es fühlt sich oft nicht nach Arbeit an. Es ist eher Erfüllung, manchmal sogar Vergnügen. Der Körper aber gewöhnt sich an hohe Belastungen, an lange Konzentrationsphasen und an eine erhöhte körperliche Beanspruchung allgemein. Fällt all das von einem auf den anderen Tag weg, kann unser Körper das oft nicht einordnen. Wie ein Spitzensportler am Ende seiner Karriere gezielt abtrainiert, so müssten wir das eigentlich in diesem Fall auch tun – tun wir aber meistens nicht. Vom einen auf den anderen Tag fällt einfach alles weg.
Ich kenne aus meiner aktiven Zeit als Manager viele Kollegen, bei denen wir uns oft gefragt haben, ob es neben dem Beruf noch “irgendetwas” gibt. Auf Menschen, die gefühlt nur die berufliche Stellung haben, schaue ich als Coach immer mit Sorge, denn jede berufliche Stellung ist endlich. Manche erfüllt danach die große Leere und eine ernste Krise bahnt sich an.
Ich weiß nicht, wie es bei Jan Hofer aussieht, aber ich kann mir gut vorstellen, dass auf ihn schon neue Aufgaben warten, die ihn erfüllen werden und die er mit der gleichen Freude angehen wird, mit der er seinen Beruf ausgeübt hat.
Es sind diese Fragen, die wir uns alle stellen sollten, lange vor dem Ende unserer Berufszeit:
Was macht uns aus? Wer sind wir als Mensch, abseits der Position, die wir im Berufsleben gerade bekleiden?
Welche Werte möchte ich vertreten, wofür stehe ich?
Was füllt mich aus, mach mache ich nur für mich? Was lässt mich als Mensch wachsen, was macht mich glücklich?
Welche Aufgaben und Projekte möchte ich angehen, wenn “ich einmal Zeit habe”? Bin ich dafür vorbereitet und bereit?
Es gibt so viel, was uns ausfüllen kann neben dem Beruf. Machen Sie sich rechtzeitig auf die Suche, damit nicht die große Leere kommt, am Tag nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben. Erfinden Sie sich neu oder arbeiten Sie weiter an ihren Herzensangelegenheiten, nur eben anders als bisher.
Definieren Sie sich nicht ausschließlich über Ihren Beruf, Sie sind doch so viel mehr!
Ein schönes Wochenende!