Das Telefon klingelt – ziemlich überraschend. Ein guter Freund ist dran, strotzt vor Energie und guter Laune, was zu mir gerade so gar nicht passt. Ich hatte einen anstrengenden Tag und bin müde, seine Energie kann ich nicht teilen.
“Los komm mit, ich hab Bock noch was trinken zu gehen, treffen wir uns in einer Stunde in der “Lieblingskneipe”?
Ich atme schwer, was ihm im euhporisierten Zustand natürlich nicht auffällt und sage: “Ok, bis gleich, ich freu mich!”
Glatt gelogen, doch es geht irgendwie wie selbstverständlich über meine Lippen. “Es” passiert einfach, weil mein Unbewusstsein entschieden hat, dass NEIN sagen keine zulässige Option ist. Das ist schließlich ein guter Freund, den enttäuscht man nicht, was wenn er mich beim nächsten Mal dann auch sitzen lässt? Was, wenn sich meine Unlust herum spricht und ich vielleicht bald gar nicht mehr gefragt werde, ob ich dabei sein will? Was wird mein Freund über mich denken? Das Kopfkino ist an und genau dann sagt mein Unbewusstein typischer Weise einfach “ja” und gut ist – alle Fragen vermieden. Der Nachteil ist nur, ich habe eigentlich gar keine Lust und mir geht es mit dieser Lösung denkbar schlecht.
DANKE, dass Sie jetzt alle “Kenn ich auch” rufen und mir das Gefühl geben, ich bin nicht allein. Na klar, solche oder ähnliche Situationen kennen wir alle und die Konstellation, ein guter Freund möchte mit mir einen trinken gehen, ist dabei eher eine harmlose Variante. NEIN SAGEN ist unglaublich schwer – aber nur bis man das gelernt hat.
Es gibt so viele Kontexte, in denen wir eigentlich NEIN sagen wollen und ja sagen. Im Beruf gegenüber dem Chef oder den Kollegen, in der Familie gegenüber dem Partner, den Kindern oder den Eltern, in Vereinen, gegenüber Freunden, zu Nachbarn und vieles mehr.
Jedes Ja, das eigentlich ein NEIN werden sollte, macht uns ein Stück unzufrieden, weil wir unsere eigenen Interessen zurückstellen und dadurch oftmals nur halb bei der Sache sind. Der Kopf ist eigentlich gar nicht da, wir machen Fehler, die wir sonst nie machen, wir hören nicht richtig zu, wir sind unkonzentriert. Allzu oft werden wir dann später auch noch dafür kritisiert, dass wir gemacht haben, wozu wir eigentlich keine Lust haben. “Du warst auch schon mal unterhaltsamer”, sagte mein Freund an diesem Abend irgendwann zu mir. Er hatte Recht, doch ich empfand das als Angriff und motzte zurück. Typischer Fall von falsches Ohr geöffnet (Schulz von Thun)… . Ergebnis: Egal ob Sie ihn oder mich fragen, einen schönen Abend hatten wir nicht. Hätte ich mal NEIN gesagt.
Ja sagen und NEIN meinen ist keine Option – lernen Sie NEIN zu sagen und Sie werden zwei Dinge merken:
- Je öfter Sie es tun, desto leichter fällt es und desto besser fühlt es sich an. Sie geben sich selbst viel mehr Raum und Bedeutung, Sie erhöhen Ihre Selbstachtsamkeit, Sie machen sich frei. Und -mindestens genauso wichtig- Sie lernen auch bewusster ja zu sagen und zu dem, wozu Sie ja gesagt haben auch voll zu stehen. Jetzt ist es Ihre ganz bewusste Entscheidung, es passiert nicht einfach, nicht unbewusst. Es ist eine kognitive Entscheidung, bewusst getroffen, IHRE Entscheidung, das bewusste Ja! Dinge, zu denen wir bewusst JA gesagt haben, gehen uns leicht von der Hand, machen Spaß und füllen uns aus.
- Sie können in einer Art und Weise NEIN sagen, die beiden Seiten gerecht wird. Klingt komisch? Ist oftmals ganz einfach. Ich hätte zum Beispiel zu meinem Freund sagen können: “Heute möchte ich nicht mehr vor die Tür gehen, ich hatte einen harten Tag und bin müde. Aber ich freue mich gerade, dass du mich anrufst und habe Lust, mal wieder mit Dir zu quatschen. Lass uns doch gleich für einen anderen Tag verabreden, wann passt es bei Dir?” Wahrscheinlich hätte diese Antwort für uns beide zu einem viel angenehmeren Abend geführt.
NEIN sagen kann man lernen – viele meiner Coachingnehmer bestätigen das. Und alle, die es gelernt haben, sind heute so viel glücklicher als zuvor – wunderbar.
Und bevor jetzt der Eindruck entsteht, ich wollte hier die Meinung vertreten, das sei doch alles ganz einfach mit dem NEIN sagen: NEIN, das ist es nicht und so möchte ich auch nicht verstanden werden. Es ist nicht einfach, vielleicht sogar eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt, aber das ist ja kein Widerspruch dazu, dass Sie es lernen können und sollten. Vielleicht haben Sie ja Lust, zu diesem Lernprozess ganz bewusst JA zu sagen?
Wenn Sie das Thema vertiefen möchten, füge ich Ihnen eine Literaturempfehlung bei, die auch diversen meiner Coachingnehmer geholfen hat.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
Literaturempfehlung:
Olaf Jacobsen
“Ich stehe nicht mehr zur Verfügung”