Die Einstellung zu Stress und ihre Folgen hat der Psychologe Jacob Keech (University oft he Sunshine Coast, Queensland) untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich diese einerseits verändern lässt und andererseits das eigene Wohlbefinden und die eigene Leistungsfähigkeit beeinflusst.
In der Studie wurden einer Gruppe von Probanden Videos gezeigt, die ihnen die positiven Auswirkungen von Stress, z.B. die Steigerung von Motivation und Produktivität erläuterten. Die Vergleichsgruppe bekam bedeutungslose Videos gezeigt. Alle Teilnehmer füllten außerdem Fragebögen bzgl. Ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens aus.
Die Übungsgruppe zeigt schon bald eine Veränderung hin zu einer „Stress ist fördernd“ Einstellung, während die Vergleichsgruppe in der Einstellung „Stress ist bremsend“ verharrte. Doch damit nicht genug. Diejenigen, die das Gefühl hatten, wenig Stress ausgesetzt zu sein, zeigten keine Veränderungen bzgl. ihrer Gesundheit bzw. ihres Wohlbefindens. Diejenigen, die sich ein hohes Maß an Stress empfanden zeigten hingegen dank der Videos ein höheres Wohlergehen und auch bessere Leistungen.
„Ich bin so traurig, ich habe gerade überhaupt keine Energie!“, so begann ein neuer Klient das Kennenlerngespräch mit mir. Ich bat ihn, mir zu erzählen, was passiert war und er sprudelte los. Er hatte zu Beginn des letzten Jahres einen neuen Job angetreten. Die Stellenanzeige hatte großartig geklungen und von Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten gesprochen. Im Einstellungsgespräch war seine designierte Chefin sehr freundlich gewesen, offen, wunderbare Ausstrahlung und hatte in höchsten Tönen von ihrem Team geschwärmt. Wie viel Spaß es mache, mit den jungen engagierten Kollegen zusammenzuarbeiten. Er habe sich so gefreut, diese Stelle zu bekommen, er sei mit viel Elan angefangen und habe sich selbst schon in spannenden Projekten, agilen Arbeitsformaten und kundenorientierten Forschungen sehr spannende Entdeckungen machen sehen. Nun, knapp 10 Monate später, war von alledem wenig übriggeblieben. Er war von dem neuen Arbeitgeber, dem neuen Team, seiner Chefin aber auch von sich selbst enttäuscht.
So ähnlich ist es uns wahrscheinlich allen schon mal ergangen – wir sind mit großen Erwartungen gestartet und „hart“ gelandet. Um besser zu verstehen, was in einem solchen Fall vor sich geht, machen wir einen kurzen und sehr oberflächlichen, aber auch völlig ausreichenden, Exkurs in die Wissenschaft, die für uns in den letzten Jahren viele wesentliche Erkenntnisse hervorgebracht hat: die Hirnforschung. Aus ihr wissen wir nämlich, dass auf einer obersten Aggregationsebene unser Gehirn (neben der Steuerung unser lebenserhaltenden Organfunktionen) zwei Ziele verfolgt: Glücksmaximierung und Schmerzvermeidung. Wir alle haben also ein Glücks- und ein Schmerzzentrum im Gehirn. Je nachdem, welches Zentrum aktiviert wird, kommt es zur Ausschüttung positiver (Glücks-) Hormone oder negativer Hormone. Es geht uns im ersten Fall gut und im zweiten Fall schlecht. Wenn wir jetzt noch wissen, dass unser Gehirn zwischen körperlichem und psychischem Glück und Schmerz nicht wirklich unterscheidet, dann können wir auch schon einen Blick auf die Erwartungen richten.
Werden unsere Erwartungen erfüllt, wird unser Glückszentrum aktiviert, es kommt zur Ausschüttung positiver Hormone und wir fühlen uns gut. Umgekehrt wird unser Schmerzzentrum aktiviert und negative Hormone ausgeschüttet, wenn unsere Erwartungen enttäuscht werden. Wir fühlen uns also schlecht, um es ganz einfach auszudrücken und nicht tiefer in die wissenschaftlichen Details abzutauchen. Da die Hormonausschüttungen in beiden Fällen zu unwillkürlichen Prozessen in uns gehören, also von uns nicht beeinflussbar sind, kommt dem Umgang mit den Erwartungen eine zentrale Bedeutung für unser Befinden zu.
Mein neuer Klient hatte sich ganz offenbar schon einige Monate im Status permanent enttäuschter Erwartungen bewegt. Er war enttäuscht, von anderen und von sich selbst. Er wollte es natürlich nicht, aber er fügte sich auf diese Art und Weise permanent „Schmerzen“ zu und war voll mit negativen Hormonen, die schließlich dazu führten, dass er aus der Abwärtsspirale nicht mehr alleine entrinnen konnte.
An seinem Beispiel wird auch klar, dass es für unser Erleben nur eine untergeordnete Rolle spielt, um wessen Erwartungen es sich handelt. Es gibt Menschen, die haben hohe Erwartungen an andere. An Ihre Kollegen was die Zusammenarbeit im Team angeht, an ihren Vorgesetzen was Lob und Anerkennung angeht, an ihre erwachsenen Kinder, was deren Verfügbarkeit angeht oder an ihren Ehepartner in vielfältiger Form. Je mehr Erwartungen ich an andere habe, desto häufiger werde ich enttäuscht – mit den beschriebenen Folgen.
Auf der anderen Seite kennen wir sicher alle Menschen, die wir als Perfektionisten beschreiben würden. Diese Menschen haben sehr hohe Erwartungen an sich selbst, denen Sie nie oder nur hächst selten gerecht werden können. Sie sind permanent von sich selbst enttäuscht und leben damit im selbstverursachten Dauerschmerzzustand. Den eigenen Erwartungen nicht gerecht zu werden, ist dabei oft die schlimmste Form aller Enttäuschungen.
Ein sehr gutes Beispiel dafür ist der seit vielen Jahren beste Dartsspieler der Welt, der Niederländer Michael van Gerwen. Viele Jahre gewann er Turniere nach Belieben und egal, wie gut sein Gegner auch spielte, er konnte immer noch zulegen und war besser. In 2020 war das über weite Strecken des Jahres anders und er selbst räumte irgendwann ein, eine Krise zu haben. Wenn man ihn spielen sah, dann gewann man schnell den Eindruck, dass er mit sich selbst nie zufrieden war, selbst dann nicht, wenn er gut spielte. Dass man ein acht Millimeter breites Feld auf einem Dartboard manchmal auch verfehlen kann, ließ er für andere gelten, für sich selbst nicht. Jedenfalls schien es so und es kam, wie es kommen musste. Er war bald voller Enttäuschung über sich selbst und voll mit negativen Hormonen. Er machte immer mehr Fehler und hatte lange Zeit große Mühe, der Abwärtsspirale zu entrinnen.
Für das eigene Wohlbefinden ist der Umgang mit Erwartungen von zentraler Bedeutung. Ich möchte damit keinesfalls sagen, dass Sie keine Erwartungen mehr haben sollen. Obwohl ich viele Menschen kenne, die mit diesem Status sehr gut durchs Leben kommen. Wer keine Erwartungen hat, kann nicht enttäuscht werden – Schmerzzentrum nicht aktivierbar!
Ich freue mich daher z.B. auch immer, wenn ich zu Beginn meiner Seminare nach den Erwartungen der Teilenehmer frage und der ein oder andere sagt, er habe keine. Er lasse das Seminar einfach auf sich zukommen. Oft habe ich schon mit Trainerkollegen diskutiert, die sich darüber furchtbar aufregen können, weil sie solche Teilnehmer für desinteressiert halten und gar keine Lust haben, mit ihnen zu arbeiten. Merken Sie etwas? Meine Kollegen haben große Erwartungen, wie ein perfekter Teilnehmer zu sein hat und ziehen sich schon runter, bevor sie ihn richtig kennengelernt haben. Ändert der Teilnehmer dadurch seine Einstellung? Nein, natürlich nicht und ein mieses Gefühl hat auch nur der Trainer – zu viele Erwartungen stehen uns oft im Wege! Ich finde Teilnehmer ohne Erwartungen großartig – einfach einlassen auf das, was kommt. Freispiel nenne ich das für mich als Trainer und Freispiele haben bei mir immer schon Glücksgefühle ausgelöst.
Mein Plädoyer ist aber nicht, dass Sie an Sich und Andere keine Erwartungen mehr haben sollen, das wird unserem menschlichen Zusammenleben auch nicht gerecht. Ich möchte Sie vielmehr einladen, ihre Erwartungen gut zu dosieren und sich immer wieder zu fragen, welche und wie viele Erwartungen, es denn sein dürfen. Für diese Dosierung möchte ich Ihnen zum Abschluss dieses Impulses noch einige Fragen mit auf den Weg geben, die auf klassische Erwartungsfelder abzielen, die sich bei manchen meiner Klienten als besonders enttäuschungsintensiv herausgestellt haben. Entscheiden Sie doch bitte selbst, mit welcher Frage Sie vielleicht in Resonanz gehen. Ich habe da keine Erwartungen an Sie.
Das Wochenende steht vor der Tür und was auch immer, Sie von ihm erwarten: