Vor einigen Wochen traf ich in Köln durch Zufall und nach langer Zeit einen alten Schulfreund und wir kamen ins Plaudern. Er erzählte mir begeistert von seinen beiden Kindern, die jetzt 8 und 10 Jahre alt waren. Viele tolle Erlebnisse mit seinen Kindern ließen ihn sichtlich in seiner Vaterrolle aufgehen.
„Weißt Du, Mario, ganz toll finde ich auch, die vielen Fragen, die meine Kinder immer wieder an mich haben.“ Er strahlte und gefiel sich offenbar in dieser Rolle. Für Kinder sind die Eltern natürlich die ersten Anlaufstellen ihrer vielen Fragen. Papa und Mama können alles und wissen alles. Auf jede Frage bekommen die Kinder eine Antwort und da sie den Wahrheitsgehalt nicht immer überprüfen können, reicht auch schon mal Halbwissen aus.
Es war keine Frage, mein alter Schulfreund genoss seine Vaterrolle sichtlich und hatte sich ganz offensichtlich auch mit vielen Themengebieten beschäftigt, um der Rolle des allwissenden Papas gerecht zu werden.
Nach einem weiteren Kölsch wurde mein Freund plötzlich still, blickte zu Boden und setze unvermittelt das Gespräch in einem anderen Tonfall fort.
„Manchmal fühle ich mich auch im Beruf wie der Papa, der alles weiß oder zumindest wissen soll. Das fühlt sich viel weniger gut an.“ Das Gespräch nahm nun eine Wendung und mein Freund, Teamleiter in einem großen Labor, erzählte aus seinem Berufsleben. Jeden Tag kamen Mitarbeitende mit Fragen zu ihm und erwartenden Antworten. Viele Dinge konnte er nicht auf Anhieb beantworten und fühlte sich dann inkompetent. Das Strahlen aus seinem Gesicht war einem erkennbaren Unwohlsein gewichen. Er verbringe viel Zeit damit, sich das entsprechende Wissen anzulesen, besuche zahlreiche Fortbildungen und dennoch tauchten immer wieder Fragen auf, die er nicht beantworten konnte.
„Bist Du sicher, dass Deine Mitarbeitenden erwarten, das Du alles beantworten kannst?“, warf ich eine erste Reflexionsfrage in den Raum. Eine halbe Stunde tauschten wir Gedanken aus und meinem Freund wurde mehr und mehr klar, dass er seine Vaterrolle in den Beruf getragen hatte. Er erwartete von sich selbst, dass er alles beantworten konnte – wie eben bei seinen Kindern. Einen Satz wie etwa: „Das weiss ich auch nicht, könnt Ihr das bitte recherchieren und dann sprechen wir darüber?“, brachte er nicht über die Lippen.
Ich hoffe, am Ende des Abends hat mein Freund erkannt, das seine Mitarbeitenden ganz sicher nicht erwarten, dass er alles weiss. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Seine viele Recherchezeit könnte er viel besser in seine Mitarbeitenden investieren, die an der Aufgabe, Ihre Fragen selbst zu beantworten, auch wachsen können. Was wirkt kompetent und vor allem kompetent in Führung, darum drehten sich viele unserer Gedanken. Alle Fachfragen beantworten zu können, hat mit Führungskompetenz nichts zu tun. Ich hoffe, auch mein Freund hat dies an jenem Abend erkannt.
Als wir uns verabschiedeten, lachte er mir zu: „Papa wird in Zukunft nicht zur Arbeit gehen, der schickt ab sofort die Führungskraft los.“
Dann hoffe ich mal für ihn, dass er seine Rollen zukünftig besser differenzieren kann.
Wie hoch ist Ihr Anspruch alle Fragen, die jemand an Sie richtet, auch beantworten zu können?
Haben Sie es schon mal mit dem schlichten „ich weiss es nicht“ probiert? Wenn ja, wie waren die Reaktionen?
Haben Sie auch schon mal ein Verhalten aus einer Ihrer Lebensrollen in eine andere mitgenommen, in der dieses Verhalten dann nicht passte?
Ich wünsche Ihnen eine schöne neue Woche.
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#führung
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