„Ich habe diesmal ein etwas anderes Anliegen.“
Mit diesen Worten hatte mein Klient bei mir den Spannungsbogen für sein heutiges Coaching schon in dem Telefonat, in dem wir den Termin fixierten, erhöht. Ich ahnte, dass es vielleicht nicht um ein berufliches Thema gehen würde, denn immer wieder hatten wir in den vorangegangenen Terminen auch seine ehrenamtlichen Tätigkeiten, die große Teile seiner Freizeit beanspruchten, gestreift.
„Ok, wofür arbeiten wir beide denn heute zusammen?“, warf ich meinem Coachingnehmer nach etwas Smalltalk den Ball zu.
„Ich habe keinen Bock mehr, mich in meinem Sportverband zu engagieren. Sie gehen mir alle auf den Wecker, ich würde am liebsten alles hinschmeißen.“
Mein Klient hatte vor rund zwei Jahren den Vorsitz im Spielausschuss eines Sportverbandes übernommen. Mit viel Elan war er gestartet, hatte zahlreiche Ideen eingebracht, wollte viele Dinge neu und zukunftsorientiert gestalten. Sein Ehrenamt kostete ihn viel Zeit und anfangs hatte er sich diese neben seinem anspruchsvollen Job gerne genommen. Es sollte ein Ausgleich sein, andere Themen, andere Menschen, mehr gestalten. Leider zogen die anderen nicht mit: Die Vereine verfolgten eigene Interessen, die Aktiven auch und seine Mitstreiter auf der Funktionärsebene unterstützten ihn wenig. Bald häuften sich die Frusterlebnisse und aus dem Ausgleich zum Job wurde eine weitere Belastung.
„Na dann, hör doch einfach auf!“, warf ich provozierend in den Raum, denn ich wusste natürlich, dass es so einfach nicht sein würde. „Was hält Dich zurück, das Ehrenamt sofort abzugeben?“
Darauf konnte mein Klient keine Antwort geben und begann zu stottern. Er wisse es nicht, es fühle sich auf der einen Seite richtig an, alles hinzuschmeißen. Auf der anderen Seite halte ihn irgendetwas zurück, das auch wirklich zu tun. Nur was, das wisse er auch nicht.
Also machten wir uns auf die Suche und die war nicht einfach.
Mein Klient hatte durch seine Funktion keine Privilegien oder persönliche Vorteile. Er hatte auch keine Familienangehörigen, die aus seiner Funktion einen Nutzen zogen. Eine Vergütung gab es ebenfalls nicht und über Langeweile klagte mein Klient auch ohne sein Amt nicht. Es gab auch keine wirkliche organisatorische Hürde, die er mit einer Amtsaufgabe zu überspringen hätte. Ein Einzeiler mit seinem Rücktritt würde genügen. Und doch war es, als hielte ihn eine unsichtbare Kraft davon ab, aufzuhören.
„Dann müssen wir wohl nochmal die Perspektive ändern“, sagte ich zu meinem Klienten als wir uns nach einer halben Stunde im Kreis drehten. Ich bat ihn zwei Jahre zurückzugehen und mir zu erzählen, wie er damals zu seinem Amt gekommen war. Er war angesprochen worden, dass der Vorsitz des Spielausschusses altersbedingt neu zu besetzen sei. Es liege vieles im Argen und man suche einen engagierten jüngeren Menschen, der Lust habe, die Dinge neu aufzustellen. Mein Klient hatte den Sport früher selbst ausgeübt und über viele Jahre auch seine Kinder in diesem Sportverband begleitet. Er hatte viele Optimierungsansätze erkannt, er wollte es besser machen.
„Ich fand es reizvoll, den Sport für die Aktiven attraktiver zu machen. Ich wollte bessere Voraussetzungen für gute Leistungen schaffen, die Sportler erfolgreicher machen und Erfolge feiern. Ich hatte Lust zu gestalten, Spaß an Veränderung. Mir wurde suggeriert, dass alle anderen jemanden suchen, der die Dinge verändert und vorantreibt. Ich dachte alle wollen mehr Erfolg und sind bereit, mitanzupacken. Doch so kam es ja nicht…“.
Jetzt waren wir der Lösung schon ganz nah. Noch ein paar weitere Fragen und mein Klient erkannte, was ihn zurückhielt. Es waren seine Ansprüche an sich selbst. Er wollte nicht aufgeben, wofür er angetreten war. Er besann sich auf die Ziele, die er erreichen wollte. Er würdigte, was er alles versucht hatte, um diese zu erreichen. Er prüfte, ob es weiterhin möglich war, seine Ziele zu erreichen und was er dafür tun müsste.
„Wie fühlt es sich an, wenn Du Dir bewusst machst, dass Du es selbst bist, der Deinen Rücktritt verhindert?“ Er musste einige Momente darüber nachdenken, doch dann erkannte er, dass es eine wertvolle Kompetenz ist, über die er verfügt. Die Kompetenz sich selbst treu zu bleiben, nicht einfach der Schnelllebigkeit nachzugeben und beim ersten Widerstand aufzugeben. Er kämpfte für seine Ideen und für seine Ziele – das fühlte sich für ihn gut an.
Wir machten schließlich eine Pro- und Contra-Tabelle auf einem Flipchart. Was sprach dafür, weiterzumachen und zu versuchen, seine Ideen noch umzusetzen und seine Ziele zu erreichen. Was sprach dafür aufzuhören. Eine Entscheidung traf mein Klient an diesem Abend nicht, diese fiel erst eine Woche später.
Er trat schließlich zurück und als er mir seine Entscheidung am Telefon mitteile, sagte er: „Es war plötzlich so klar, so einfach und es viel mir mit einem Mal ganz leicht, obwohl ich so lange gezaudert habe.“
Wir tun uns oft schwer, Dinge zu beenden, weil es sich nach scheitern anfühlt. Wir wollen nicht aufgeben, es fühlt sich nach Niederlage an und wer verliert schon gern? In solchen Momenten ist es wichtig, sich zu erinnern, warum man begonnen hat. Wofür ist man angetreten? Wenn man dann zu dem Ergebnis kommt, alles getan zu haben, die eigenen Ziele zu erreichen, dann ist es oftmals leichter aufzuhören. Man trifft dann eine neue Entscheidung unter neuen Voraussetzungen. Wenn das, wofür man angetreten ist, nicht mehr möglich ist, muss man auch nicht mehr weitermachen. Man kann aufhören, ohne schlechtes Gewissen, ohne Groll und ohne Reue. In vielen Fällen wird man vielleicht auch weitermachen und das ist auch gut so, denn leichtfertig etwas aufzugeben, wofür man aus Überzeugung angetreten ist, wäre schade. Es sich selbst nicht leicht zu machen, ist eine wertvolle Kompetenz.
Wie geht es Ihnen gerade?
Würden Sie gerne „etwas hinschmeissen“?
Haben Sie sich das gründlich überlegt?
Warum haben Sie seinerzeit damit angefangen?
Sind Ihre Ziele noch möglich?
Treffen Sie die richtige Entscheidung.