Mein Klient war zerknirscht. Das Gespräch, das er gestern mit seinem Chef gehabt hatte, war nicht besonders gut gelaufen. Er hatte sogar eine ziemliche Abfuhr erhalten, als es um die Frage einer möglichen neuen Position und die damit verbundene Gehaltserhöhung gegangen war.
„Mein Chef sieht mich nicht auf der neuen Stelle und wird das nicht befürworten. Er wirft mir mangelndes Engagement vor, unfassbar.“ Er war ganz offensichtlich vom Feed-Back des Chefs vollkommen überrascht worden.
„Woran ganz konkret macht denn Dein Chef das fest?“, fragte ich zurück. Das hatte mein Coachingnehmer seinen Chef auch gefragt. Die Antwort, er habe in letzter Zeit an kaum einer Weiterbildung teilgenommen, konnte er gar nicht mehr verstehen.
„Stimmt das denn nicht?“, fragte ich weiter. Doch, es stimmte schon, aber das habe doch nichts mit seinem Engagement zu tun. Er habe die Weiterbildungen für sich nicht für nötig gehalten, darin keinen Mehrwert gesehen. Die meisten waren ohnehin nach Dienstschluss bzw. am Wochenende gewesen und er habe da die Prioritäten mehr auf seine Familie gesetzt. Das müsse doch auch sein Chef verstehen.
„Hättest Du Dich anders entschieden und an den Weiterbildungen teilgenommen, wenn Du gewusst hättest, dass deine Präsenz dort für die neue Stelle relevant ist?“, wollte ich wissen.
„Natürlich hätte ich das…“, platzte mein Klient sofort heraus.
Ein typischer Fall von Fehleinschätzung könnte man meinen, doch ist dem wirklich so? Die Analyse legt eher nahe, dass mein Klient – natürlich ohne jede Absicht – den möglichen Zusammenhang gar nicht erkannt hat und ihn so auch nicht bei seiner Entscheidung berücksichtigen konnte. Er war auf die fachlichen Inhalte fixiert, die er für sich als „nicht relevant“ eingestuft hatte. Den Aspekt, dass ihm sein Fernbleiben auch als allgemeines Desinteresse und mangelndes Engagement ausgelegt werden könnte, hatte er nicht auf dem Zettel gehabt. Es handelt sich also weniger um eine Fehleinschätzung als um eine mangelnde Reflexion möglicher Zusammenhänge und Wirkungen. Er war sozusagen „betriebsblind“ für das eigene System gewesen und bekam nun die Quittung, die er als ungerecht empfand.
Wir arbeiteten das auf und mein Klient konnte aus der Perspektive des Chefs diesen auch gut verstehen. „Wenn ich das gewusst hätte, wäre es ja ein leichtes gewesen, das mit ihm zu besprechen.“, sagte er schließlich. Ja genau, das wäre ein leichtes gewesen und er hätte mit seinem Chef besprechen können, dass er in diesen Weiterbildungen keine fachliche Notwendigkeit sah und bei den nächsten, gerne wieder dabei war. Dann wäre die negative Wirkung vermieden worden und er wäre jetzt nicht so enttäuscht.
Dieser Gefahr aber sind wir im Alltag immer wieder ausgeliefert. Wir sind auf einen Punkt fixiert und sehen die möglichen Konsequenzen rechts und links manchmal nicht. In diesem Fall war es, dass jemand gar nicht auf die Inhalte, sondern auf die allgemeine Weiterbildungsbereitschaft schaut und diese bewertet.
In anderen Konstellationen können es ganz andere Aspekte sein. Vorschnell sollten wir also keine Entscheidungen treffen. Einen Moment innehalten, die Konsequenzen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten und zumindest kurz überlegen, welche Wirkung mein Verhalten vielleicht auf andere hat und ob ich mit dieser Wirkung leben will, ist immer hilfreich. Dann können Sie immer noch und zwar sehr reflektiert die Entscheidung treffen, die für Sie die richtige ist. Aber eben im vollen Bewusstsein aller möglichen Konsequenzen. Diese Entscheidungsfreiheit ist dann echte Kompetenz zur Selbststeuerung.
Ein schönes Wochenende!