„Um diese Zeit sollst Du doch noch schlafen“, schrieb mir meine über 80jährige Mutter, als ich wieder einmal eine Whatsapp-Nachricht von ihr um kurz nach fünf Uhr am Morgen beantwortet hatte. Das war natürlich ein Hinweis in bester wohlwollender Absicht, weil sich meine Mutter Sorgen machte, ich könnte unter Schafstörungen leiden. Doch die Sorgen meiner Mutter sind unbegründet.
Ich stehe gerne früh auf, einfach weil ich ausgeschlafen habe. Ich liebe den frühen Morgen, wenn so eine besondere Stimmung herrscht, jedenfalls erlebe ich das so. Es ist noch still im Haus und auch um das Haus herum. Die Ruhe ist so angenehm und oft so ein schöner Kontrast zu den hektischen Tagen voller Nachrichten, Informationen, Anrufen und vielem mehr.
Am Morgen schweigen meine elektronischen Geräte noch, keine Popup Nachrichten, kein Beep-Ton. Ich lasse als erstes immer unsere Katze aus ihren Nachträumen raus und ihr dankbares Schnurren meist gefolgt von der schnellen Aufforderung, jetzt aber auch bitte sofort das Frühstück bereitzustellen, ist so ein schönes Ritual. Sie ist natürlich ebenfalls ein Frühaufsteher und die Dämmerung ist Ihre Zeit, also raus in den Garten auf Entdeckungstour.
Während der Kaffee läuft, mache ich meine morgentliche Rückengymnastik, nach zwei Bandscheibenvorfällen ein festes Ritual. Früher empfand ich das oft als lästig, heute fehlt mir etwas, wenn ich keine Gymnastik mache. Es ist die Zeit mich selbst zu spüren, zu mir zu finden und gut sortiert den Tag zu beginnen.
Wenn ich aus dem Sportraum komme, duftet in dem noch immer so stillen Haus der frische Kaffee besonders intensiv. Es ist ein wunderbarer Moment, jeden Morgen aufs Neue. Es ist der Moment, in dem ich alle meine Sinne erlebe, denn der erste Schluck schmeckt so wunderbar. So oft sind wir im Alltag auf Sehen und Hören fixiert. Riechen und Schmecken kommen oft zu kurz. Dabei sind doch auch diese beiden Sinne so unglaublich wertvoll.
Überlegen Sie einmal selbst, was Sie z.B. gerne riechen und mit dem jeweiligen Geruch assoziieren? Frisch gemähtes Gras? Den Duft eines gerade gebackenen Kuchens? Die Rose im Garten? Entstehen nicht auch in Ihrem Kopf sofort wunderbare Bilder? Zeit für diese Bilder habe ich am frühen Morgen, wenn der Alltag seine ganze Kraft noch nicht entfachen konnte.
Manchmal beginne ich mit dem ersten Kaffee kraftvoll zu arbeiten, manchmal sitze ich auf meiner Terrasse und schaue der aufgehenden Sonne zu. Manchmal schaue ich paar kurze Videos mit wichtigen Ereignissen des Vortages. Und manchmal spiele ich auch erst noch eine Weile mit unserer Katze.
Eigentlich sollte ich noch schlafen? Nein, der Morgen ist meine Zeit und sowohl der dunkle Winter als auch der helle Sommer bieten mir schöne Momente, auf die ich nicht verzichten möchte.
Und Sie? Sie schütteln gerade den Kopf und fragen sich, was ich da schreibe? Sie können mich so ganz und gar nicht verstehen? Ja, kann sein, vielleicht haben Sie einen anderen Rhythmus und „Ihre Zeit“ liegt in einem anderen Tagesabschnitt. Wenn Sie aber so gar nicht nachvollziehen können, was ich meine und das will ich nicht hoffen, dann könnte das auch ein erstes kleines Signal sein, dass Ihnen Ihre innere Ruhe verloren gegangen ist. Die aber werden Sie brauchen, innere Ruhe ist eine große Kraftquelle und ein wesentliches Element unserer Resilienz.
Ich will Sie nicht zum Frühaufsteher machen, aber dazu anregen, zu überlegen, was Ihre wichtigen Momente für sich selbst sind:
Die Momente der inneren Einkehr, des sich selbst Spürens, der Zeit nur für sich.
Die Momente, in denen Sie mit allen Sinnen erleben und Dinge ganz bewusst wahrnehmen, die sonst im Alltag nur so vorbeihuschen.
Die Momente, in denen die Zeit langsamer zu laufen scheint, die Informationsflut gebremst ist und die Technik schweigt. Offline is the new luxury – wie wahr!
Vor allem aber die Momente, denen Sie ganz allein Bedeutung geben können, ohne dass irgendjemand diese Bedeutung bereits definiert hat. Meine Zeit für… und dann folgt, was auch immer Ihnen gerade in diesem Moment guttut. Wunderbar, oder?
Vielleicht haben Sie solche Momente auch schon vermisst und jetzt, da Sie darüber nachdenken wir Ihnen das wieder einmal bewusst. Dann ist der erste Moment des Innehaltens schon erreicht. Sie können von hier aus starten, weitere Momente zu suchen, wie ich Sie weiter oben beschrieben habe.
Und diese müssen natürlich nicht am frühen Morgen sein.
Ein schönes Wochenende!