Der MP Impuls zum Wochenende

Samstagmorgen kurz nach 6. Wie an jedem Morgen gehe ich die Treppe hinunter und das Erste, was ich stets tue, ist die Verbindungstür in den Teil unseres Hauses zu öffnen, indem unsere Katze ihre Nacht verbringt. Sie hat drei Zimmer, in denen sie sich aufhalten kann, damit sie in der Nacht nicht durch das ganze Haus streift und auch damit sie sich sicher fühlt. Ich öffne die Türe und…, unsere Katze ist nicht da.

Unsere Katze ist immer da, wenn ich diese Türe öffne und das seit annähernd 10 Jahren. Außer im April letzten Jahres, da hatte sie eine schwere Erkrankung und etwa vier Wochen lang stand sie morgens nicht an der Tür, wenn ich die Treppe hinunterkam. Jeden Morgen suchte ich sie in irgendeiner Ecke der Räume, in der sie sich versteckt hatte. Ihre Kontaktfreudigkeit war gewichen, ihre Esslust auch. Schließlich bekamen wir dank der Hilfe unserer Tierärztin die Bauchspeicheldrüsenentzündung gut in den Griff und seitdem galt wieder: wenn ich die Türe öffne, ist unsere Katze da – heute nicht.

Sofort schossen mir die Gedanken durch den Kopf: Oh Gott, vielleicht ein Rückfall?! Ich lief durch die Zimmer und suchte sie, fand sie jedoch nicht. Wo kann sie sein?

Plötzlich hörte ich sie im Katzenklo scharren und atmete erleichtert auf – sie war gerade auf Toilette.

Es geht so schnell und plötzlich haben wir Gedanken im Kopf, die wir eigentlich nicht haben wollen. Wir denken an das Schlimmste und nicht an das vielleicht Naheliegendste oder gar an das Positivste.

Wenig später ärgerte ich mich: Warum reagierst du so ? Du wolltest doch viel gelassener bleiben, Abby (unserer Katze) passiert schon nichts. Leichter gesagt als getan.

So etwas haben Sie auch schon erlebt ? Ja, so etwas haben wir wahrscheinlich alle schon einmal erlebt und es ist auch ganz normal.

Was war passiert? Unser Gehirn nimmt ständig eine Prognose vor, was aus unseren Erfahrungswerten heraus wohl gleich passieren wird. Passiert das dann nicht, kriegen wir das, was wir einen Schreck nennen. Vielleicht haben Sie ja schon mal eine Treppenstufe verpasst, während Sie gerade eine Treppe hinabstiegen? Dann wissen Sie sofort, was ich meine. Es ist der gleiche Effekt.

Ein Hirnforscher würde Ihnen jetzt erklären, dass mit dem Schreck die Ausschüttung bestimmter Hormone verbunden ist und wir deshalb erstmal in ein Verhaltensmuster zurückfallen, in dem unsere logische Denkfähigkeit eingeschränkt wird und automatische Verhaltensmuster aktiviert werden. Die neurobiologischen Details ersparen wir uns an dieser Stelle.  So war das auch bei mir. Meine Automatik lautete: oje, die Katze liegt sicher krank in irgendeiner Ecke. Ich muss sofort nach ihr suchen. Zum Glück eine Fehleinschätzung.

Die Hirnforschung hat uns in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse gebracht. Eine davon ist, dass wir nach Glücksmaximierung und Schmerzvermeidung streben. Wenn wir so zusagen aus 10000 Meter Höhe auf unsere Gehirnaktivität schauen, dann verfolgt unser Gehirn nur diese zwei übergeordneten Ziele (neben der Erhaltung der lebenswichtigen Funktionen). Werden unsere Erwartungen, die wir gerade haben, nicht erfüllt, wird das Schmerzzentrum aktiviert und es kommt zur Ausschüttung der entsprechenden Hormone. Dies passiert, ob wir das wollen oder nicht. Es ist kein willentlicher und damit kein steuerbarer Prozess. Ich bin also völlig zu Unrecht mit mir so hart ins Gericht gegangen und habe mich geärgert, dass ich nicht viel gelassener reagiert habe. Meine Reaktion lag weitgehend außerhalb meiner Steuerungsfähigkeit.

Im Alltag begegnen uns solche oder ähnliche Situationen immer wieder. Sie passieren im Privatleben oder im Beruf. Aus unseren Erfahrungen heraus erwarten wir etwas, weil es immer so war, und plötzlich passiert etwas ganz anderes. Das bringt sofort unser Gedankenkarussell in Gang und in der Regel malen wir uns Szenarien aus, die deutlich schlechter sind als das, was dann tatsächlich eintrifft. Wir neigen dazu, uns auf das negative zu fokussieren und uns wilde Gedankenmodelle auszumalen, die meist in der Realität gar nicht zum Tragen kommen. Eine ganz menschliche und, wie wir inzwischen wissen, auch eine ganz natürliche Reaktion. Wenn unser Schmerzzentrum aktiviert wird und entsprechende Hormone ausschüttet, können wir nicht gleichzeitig positiv denken und sagen: „Ach wunderbar, es wird bestimmt noch viel besser sein, als ich das üblicherweise erwarten konnte!“ Das passt halt nicht zusammen.

Nun also Sie:

In welcher Situation wurden Sie schon einmal überrascht und das, was Sie erwartet haben, ist nicht eingetreten?

Wie ging es Ihnen damit und wie haben Sie reagiert?

Sind Sie auch mit sich ins Gericht gegangen und haben sich geärgert, dass Sie nicht positiver oder gelassener geblieben sind?

Nun ja, es ist so menschlich und vielleicht fällt es Ihnen nach dieser kleinen Geschichte leichter, mit sich selbst etwas weniger streng zu sein.

‚Kann man das denn üben, gelassener zu sein‘,  geht es Ihnen vielleicht durch den Kopf? Schließlich hört man doch so oft den Satz: Expect the unexpected!

Vielleicht kann man das üben – bis zu einem gewissen Punkt, aber wir bleiben halt immer Menschen und deshalb wird es auch immer diese Reaktionen geben, die wir nicht vollständig steuern können, weil sie außerhalb unseres bewussten Handelns liegen.

Ich finde: Das ist doch gut so und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.