Die Krise ist auch eine Chance – nur eine Floskel?

In jeder Krise steckt auch eine Chance!

„Was für eine Plattitüde!“, geht es Ihnen sofort durch den Kopf? Sie haben Recht, dieser Spruch wird manchmal inflationär eingesetzt und das macht es für viele Menschen schwer, ihn zu akzeptieren bzw. auch nur etwas tiefgründiger über ihn nachzudenken.

Doch schauen wir in die Historie, dann finden wir so viele Zitate von Menschen, denen wir nahezu alle mit Hochachtung begegnen dürften, dass in diesem Satz doch ganz offenbar ein wahrer Kern enthalten sein muss. Sie möchten wissen, wen z.B. ich meine? Drei Angebote:

„Wir sollten von den Chinesen lernen – die haben das gleiche Schriftzeichen für Krise und Chance.“

Carl-Friedrich von Weizäcker

„Im chinesischen besteht das Wort Krise aus zwei Schriftzeichen – das eine bedeutet Gefahr, das andere Gelegenheit.“

John F. Kennedy

„Jede Krise hat nicht nur ihre Gefahren, sondern auch ihre Möglichkeiten.“

Martin Luther King

Eine Krise, der wir uns alle ausgesetzt sahen und sehen, ist die Covid 19 Pandemie. Ich erinnere mich gut an meine eigene Situation, als im März 2020 quasi innerhalb von zwei Tagen der gesamte Auftragsbestand des Jahres aus meinem Kalender verschwand. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen im Bereich Training und Coaching berichteten ähnliches. Keine Frage, meine gesamte Brache war schlagartig in eine Krise geraten.

Inzwischen sind wir zwei Jahre weiter und können ganz gut bewerten, welche Chancen auch darin steckten. Viele Kunden und Anbieter haben sich auf online-Formate eingelassen, neue Formen des Lernens haben sich entwickelt und entwickeln sich immer noch. Neue Prioritäten wurden gesetzt und die Digitalisierung bekam einen Schub, der lange überfällig war.

Ich musste für mich auch eine Neubewertung der Situation vornehmen und habe mich entschieden, den online-Boom weitgehend nicht mitzumachen. Es ist einfach nichts, dass mir Freude bereitet, mein Leben noch mehr als ohnehin notwendig vor dem Bildschirm zu verbringen. Also was tun, mit dem Gewinn an Zeit, den ich plötzlich hatte?

Ich entschied mich, ein Projekt umzusetzen, dass ich schon jahrelang vor mir herschob: ein Buch! „Ich will unbedingt noch ein Buch zur Selbstreflexion schreiben!“ Diesen Satz hatten viele meiner Freunde oder Kollegen in den letzten Jahren schon ziemlich oft von mir gehört. Aus meinen zahlreichen Coachings der letzten 10 Jahren hatte ich mehr als genug Stoff für das Buch, nur die Zeit und Ruhe zum Schreiben hatte mir bislang immer gefehlt. Jetzt war plötzlich alles da: Die Welt drehte sich langsamer, die Ruhe war spürbar, Zeit hatte ich auch, das war meine Chance. Also los!

Auch ich hätte in eine depressive Stimmung verfallen können, ins Jammern, wie schlimm das alles ist. Das ist im Übrigen ja ein nur allzu menschlicher spontaner Reflex. Ich gehe gleich noch darauf ein, was inzwischen aus meiner Entscheidung, jetzt endlich „mein“ Buch zu schreiben, geworden ist, doch vorher möchte ich noch einen wichtigen Aspekt mit Ihnen betrachten.

Klar ist, auch für mich war das Jahr 2020 wirtschaftlich nicht erfreulich, denn alle Gruppenveranstaltungen fielen aus und nur mit Einzelcoachings sind „schwarze Zahlen“ schwer zu erreichen. Ich konnte mir das zum Glück gut leisten, denn ich verfüge über weitere Einkommensquellen und muss nicht ausschließlich von meiner Tätigkeit als Trainer und Coach leben. Wenn ich das so erzähle, dann entgegnen wir meine Gesprächspartner oft: „Ja, Du hast leicht reden!“

Und jetzt sind wir genau an dem zentralen Punkt, den ich mit Ihnen vertiefen möchte. Es ist ein Missverständnis, dass es „leicht“ ist, die Chance in der Krise zu sehen und zu ergreifen. Das hat niemand, auch niemand von unseren prominenten Zitategebern, gesagt. Ich glaube, dass ist auch genau der Punkt, warum es vielen inzwischen so schwerfällt, den Satz mit der Krise als Chance zu akzeptieren. Viele interpretieren hinein, dass es leicht ist, die Chance zu ergreifen und das ist es selbstverständlich nicht. Es ist im Gegenteil meistens sogar sehr schwer, die Chance zu finden und zu „an den Hörnern zu packen“. Die Chance ist oftmals gar nicht offensichtlich, sondern will gesucht und gefunden werden – von jedem einzelnen. Die Chance zu ergreifen ist häufig mit Entbehrungen und schmerzhaften Phasen verbunden. Es ist oftmals notwendig ein tiefes Tal zu durchschreiten, bevor man den nächsten Gipfel erklimmen kann. Der eine muss vielleicht umschulen, der andere seine Selbständigkeit aufgeben. Wieder andere können vielleicht endlich ihre Idee verwirklichen und müssen dafür ihre Angestelltenposition aufgeben, was auch nicht leichtfällt und mit Risiken verbunden ist. Vor allem aber muss ich mich in der Krise mit mir selbst beschäftigen, meine eigene Situation analysieren und für mich ganz persönlich die richtigen Schlüsse ziehen. Sich mit sich selbst zu beschäftigen, ist niemals leicht.

Die Krise tut also oftmals weh, ist unangenehm und unbequem – und dennoch immer auch eine Chance. Das es leicht ist, diese Chance zu ergreifen, ist aus meiner Sicht das zentrale Missverständnis, mit dem wir aufräumen müssen.

Die Chance sieht auch nicht für jeden gleich aus. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen mussten aus wirtschaftlichen Gründen den online-Boom mitmachen, ob sie wollten oder nicht. Obwohl – und da fängt es an – eigentlich ist das falsch. Sie hätten auch andere Möglichkeiten gehabt, die aber vielleicht zu schmerzhaft waren. Und auch wenn der ein oder andere den online-Trend dann eher widerwillig aufgegriffen hat, er hatte auch damit plötzlich neue Möglichkeiten der Weiterentwicklung, der Neuausrichtung, des neuen Einrichtens in einer neuen Arbeitsform und vieles mehr. Einfach war es sicher nicht, vorhanden waren die Chancen aber allemal, was viele erfolgreiche Weiterentwicklungen von Anbietern in meiner Branche beweisen.

Einen der wichtigsten Aspekte in diesem Thema fasst die Journalistin Nina Ruge sehr gut zusammen, wenn sie sagt: „Akzeptiere ich, dass jede Krise eine Chance ist, dann nehme ich ihr ein großes Stück der Macht über mich.“

Und so schließt sich der Kreis und ich möchte nochmal zu meinem ersten Buch, dass ich in 2020 geschrieben habe, zurückkehren. Denn Nina Ruge geht genau in die Richtung, die ich in meinen Coachings immer wieder erlebt habe und warum ich glaube, dass Selbstreflexion so wichtig ist. Bin ich Opfer der Krise oder Gestalter der Chance – das eine fühlt sich furchtbar an, das andere jedenfalls viel besser. Immer wieder erlebe ich, wie meine Klienten ihre Gedanken ändern und damit neue Energie tanken, Kräfte freisetzen und sich von Fesseln, die sie so lange zurückgehalten haben, befreien.

So ähnlich war es schließlich auch bei mir. Als ich die Ruhe und Zeit zum Schreiben hatte, änderte sich auch mein Blick für die Natur, denn ich schreibe meistens draußen im Garten. Die Eichhörnchen begegneten mir immer häufiger, ich begann zu fotografieren und schließlich sprachen mich meine Freunde an, ich solle doch aus meinen Bildern „etwas“ machen. Als Coach konnte ich nicht einfach ein Eichhörnchenbuch schreiben und so entstand ein Selbstcoachingbuch, für dass 200 Bilder und das Leben des Eichhörnchens den Rahmen bilden. Und inzwischen ist auch mein zweiter Band mit Impulsen zur Selbstreflexion erschienen. In gut zwei Jahren habe ich also drei Bücher geschrieben und veröffentlicht. Es war die Chance, die ich gesucht hatte, Spuren zu hinterlassen, dabei Freude zu haben und auch noch die Natur zu genießen. Dazu brauchte es die Krise, denn sonst hätte ich mich wohl nicht darauf eingelassen, sondern wäre weiter dem vollen Terminkalender gefolgt.

Auch wenn es nicht leicht ist, jede Krise ist auch eine Chance.

Ergreifen Sie ihre Chance!

Falls Sie Lust haben, finden Sie weitere Informationen zu meinen Büchern übrigens gerne hier.

Arbeitswelt und Führung: aktuelle Trends und Umfragen, Ausgabe 24.02.2022

Aktuell stehen die Führungskräfte und Ihr Verhalten mal wieder im Fokus zahlreicher Umfragen mit teilweise widersprüchlichen Ergebnissen. Es steht außer Frage, dass die aktuellen, tiefgreifenden Veränderungen im Arbeitsleben alle Führungskräfte vor besondere Herausforderungen stellen.

Da verwundert es nicht, dass im aktuellen Hernstein Management Report für den 1.060 deutsche Führungskräfte befragt wurden, Angst und Verunsicherung als zwei prägende Gefühle der Pandemiezeit genannt werden. Wie schon so oft, möchte ich auch an dieser Stelle bewusst nochmals auf die doppelte Betroffenheit der Führungskräfte hinweisen: Immer müssen diese sowohl für sich selbst als auch für ihre Mitarbeitenden mit den Herausforderungen klarkommen und diese konstruktiv umsetzen. Wenn die Betroffenheit die eigene Gesundheit ist, stellt das natürlich nochmals eine größere Herausforderung dar. Im aktuellen Report zeigten sich 45% der Befragten sehr oder eher verunsichert, was vor allem auf die mit der Pandemie einhergehenden Veränderungen zurückzuführen ist, wie 81% der Befragten erklärten. 78% beklagten außerdem den Verlust an persönlichem Kontakt und klaren Strukturen, was ebenfalls wenig verwundert und zeigt, wie sehr unsere Arbeitswelt vor Corona immer noch auf persönliche Begegnungen und Präsenz am gemeinschaftlichen Arbeitsort ausgerichtet war. Brechen solch dominante Eckpfeiler plötzlich und unerwartet auseinander, so sind Gefühle wie Angst und Verunsicherung kaum zu vermeiden. 69% der Befragten hatten aber auch Angst davor, selbst an Corona zu erkranken. Auch die Angst um den eigenen Arbeitsplatz belastete immerhin 57% der Befragten. Für viele ist sicher bis heute schwer einzuschätzen, wie die Arbeitswelt der Zukunft wirklich aussieht und ob sie ihren Platz darin noch wiederfinden werden. Diese Unsicherheit kann schnell in Angst umschlagen, so dass auch dieses Ergebnis nicht überrascht. Selbst offenbar schon genug verunsichert müssen sich die Führungskräfte auch noch um Mitarbeitende kümmern, denen es genauso geht. Das ist natürlich eine besondere Herausforderung, die auch nicht selten wahrzunehmen ist. 65 % der Befragten stimmten nämlich der Aussage, dass aufgrund der Krise mehr mentale Probleme oder Erkrankungen entstehen, voll und ganz oder zumindest eher zu. Wir wissen ja bereits, dass auch die Statistiken der großen Krankenkassen, diesen Trend leider untermauern.

Der plötzliche Wandel zu Remote Work und Leadership zeigt seine Folgen auch in einer Befragung des Capgemini Research Instituts, das weltweit 1.380 Personen aus weit mehr als 500 Unternehmen befragt hat. 75% der befragten Mitarbeitenden schätzen dabei die emotionale Intelligenz der Führungskräfte als zentrale Führungseigenschaft ein. 53% kamen allerdings zu dem Ergebnis, dass die emotionale Intelligenz bei ihrer Führungskraft nicht besonders ausgeprägt ist. Die Folgen können die Mitarbeitenden ziemlich gut benennen: Nur 48% fanden, dass es der Führungskraft gelungen ist, das Team in der Krise zu motivieren. 53% fühlten sich nicht gehört und nicht in die Entscheidungen einbezogen. Ebenso viele hatten den Eindruck, dass auf die Work-Life-Balance der Mitarbeitenden nicht ausreichend geachtet wird. Wie schon so oft sehen sich die Führungskräfte auch in dieser Befragung übrigens deutlich besser als ihre Mitarbeitenden dies tun. Die deutliche Mehrheit ist überzeugt, einen guten Job zu machen. Das verwundert auch nicht, denn die positive Absicht im Verhalten möchte ich keiner Führungskraft absprechen, jedenfalls entspricht diese positive Absicht voll und ganz meinen langjährigen Erfahrungen als Coach. Die Auswirkungen auf die Mitarbeitenden sind aber leider oftmals weit weniger positiv, was wieder einmal zeigt, wie wichtig Selbstreflexion und Feed-Back im Führungsalltag sind. In der aktuellen Studie glaubten 72% der Führungskräfte, dass es ihnen gelungen sei, virtuell eine positive Verbindung zu ihren Mitarbeitenden aufzubauen, was leider nur 49% der Mitarbeitenden genauso sah. Gerade in Zeiten besonderer Herausforderungen müssen Führungskräfte vor allem an sich selbst arbeiten und sollten sich nicht zu schade sein, dafür auch Feed-Back und Hilfen kompetenter Berater oder auch der eigenen Mitarbeitenden anzunehmen.

Angesichts der vielfältigen, aktuellen Herausforderungen war ich schon etwas überrascht, wie positiv die 750 vom Personaldienstleister Hays und dem Marktforschungsinstitut Rheingold befragten Führungskräfte in die Zukunft schauen. „Wir werden gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.“ – dieser Aussage stimmten sage und schreibe 79% der Befragten zu. Das erfreut mich zunächst, denn mit einer depressiven Grundstimmung ist noch niemand erfolgreich geworden. Ich hoffe nur, dass nicht zu viel Zweckoptimismus in diesen Zahlen steckt. 73% der Befragten sahen neue Chancen und neues Wachstumspotenzial für Ihre Unternehmen. Jeder zweite glaubte, dass durch die Pandemie notwendige Veränderungen endlich umgesetzt werden. Dabei geht die Mehrheit auch davon aus, dass es sich um dauerhafte Veränderungen handeln wird, denn 60% erwarten, dass die Fortschritte in Sachen Digitalisierung von Dauer sein werden. Auch in dieser Befragung räumen die Führungskräfte ein, dass der aktuelle Wandel der Führungsaufgaben ihnen einiges abverlangt. 76% bilanzieren jedoch bereits positiv, dass ihre Mitarbeitenden weit eigenständiger arbeiten, als sie es erwartet hätten. Viele Führungskräfte haben sich vorgenommen, ihre Mitarbeitenden künftig noch besser zu motivieren und ihnen mehr eigenständige Entscheidungen und Verantwortung zu übertragen. Ich bin gespannt, denn so positiv diese Ergebnisse klingen, so deutlich liegen doch die Widersprüche zu anderen Befragungen auf der Hand. Und auch die seit so vielen Jahren immer wieder aufgeworfene Frage, wie man als Führungskraft Mitarbeitende motiviert, will erst noch beantwortet werden.

Glaubt man einer aktuellen Studie von Oracle könnten Führungskräfte außerdem bald mit erheblichen Veränderungen ihrer Teams konfrontiert werde, denn von den weltweit 14.700 Befragten fühlten sich 75% aufgrund der Corona-Pandemie in ihrem beruflichen Leben festgefahren. 93% (!) erklärten, sie hätten das Jahr 2021 genutzt, um über ihre Zukunft und das eigene Leben nachzudenken. 83% möchten im Ergebnis Konsequenzen ziehen und sich beruflich verändern. Wenn diese Zahlen Realität werden, kommt viel Bewegung in den Arbeitsmarkt. Interessant ist auch, dass diesen Bestrebungen nach Veränderung im Job offenbar vor allem eine Veränderung der Lebensprioritäten zu Grunde liegt. 88% der Befragten gaben an, dass jetzt eine gute Work-Life-Balance für sie höchste Priorität habe, ebenso wie psychische Gesundheit und Flexibilität. Dieser bereits seit längerem, allen voran in der Generation Z, zu beobachtende Entwicklungstrend bekommt offenbar nochmals einen Schub. Karriere geht vor allem – diese Prioritätensetzung scheint für die große Mehrheit jedenfalls endgültig vorbei.

Viele der aktuellen Veränderungen lassen sich nur mit einem gleichzeitigen Ausbau der Digitalkompetenz bewältigen. Amazon Web Services legt mit dem Beratungsunternehmen AlphaBeta gemeinsam eine Befragung vor, in der 65% der deutschen Befragten angaben, dass sie mehr digitale Fähigkeiten benötigen, um mit den aktuellen Veränderungen in ihrem beruflichen Umfeld zu Recht zu kommen. Zwei Drittel dieser Befragten zweifeln jedoch, dass sie sich diese schnell genug aneignen können, was zwangsläufig zu Unsicherheiten bei den Betroffenen führen muss. Offenbar sind mangelnde Aufklärung über die notwendigen Fähigkeiten und mangelnde Zeit für die Weiterbildung zwei Hauptursachen dieser Selbstzweifel. 57% der Befragten gaben an, dass ihnen die vorhandenen Weiterbildungsoptionen kaum bewusst seien. Gar 62% beklagten, dass es an Zeit für die notwendigen Weiterbildungen mangele. Einig waren sich alle Befragten übrigens über die Notwendigkeit der Schulungen und auch darüber, welche positiven Effekte damit verbunden wären. Allein der Weg dahin schein für viele nach wie vor unklar zu sein.

Digital – dieses vermeintliche Zauberwort begleitet uns in den letzten Jahren und hat viele persönliche Begegnungen inzwischen ersetzt. Einige sind begeistert, weniger reisen zu müssen, andere trauern den persönlichen Begegnungen nach. Wie wird es nach Corona weitergehen? Der persönliche kontakt steht jedenfalls bei vielen nach wie vor hoch im Kurs. Gemäß einer Befragung von RA Business, einem Projekt an dem u.a. die FH Westküste mitarbeitet, würden z.B. bei Messen 67% der Befragten eine Geschäftsreise einer virtuellen Veranstaltung vorziehen. 46% glauben, dass schwerwiegende Probleme face-to-face besser gelöst werden können und 45% glauben, dass im persönlichen Kontakt vor Ort, ein Vertrauensverhältnis besser aufgebaut werden kann. Auch Komplexität scheint für viele Menschen nach wie vor besser im persönlichen Kontakt händelbar zu sein. So gaben 42 % an Vertragsverhandlungen lieber im persönlichen Kontakt zu führen. Ich persönlich glaube, es wird wie so oft zu einer Pendelbewegung kommen. Viele Menschen sehnen sich aktuell nach persönlichen Kontakten und es gibt so etwas wie einen Nachholbedarf. Langfristig werden wir uns einpendeln und man kann nur hoffen, dass viele sinnlose Reisen auch unserer Natur zuliebe endlich unterbleiben und digitalen Formaten ohne Qualitätsverlust Platz machen werden.

Alle Studien wurden veröffentlicht in der Ausgabe 03/2022 von managersemninare.

Der MP Impuls zur Selbstreflexion vom 12.02.2022

Wenn ich morgens in mein Büro komme, dann gelten meine ersten Schritte in der Regel zwei Tageskalendern, die mich durch das Jahr begleiten. Der erste enthält Quizfragen, damit ich mich schon morgens ein bisschen geistig betätigen kann, mal mehr und mal weniger erfolgreich. Der zweite enthält Sprüche für jeden Tag. Manchmal schaue ich auf diesen Kalender und lache in mich hinein. Manchmal finde ich den Spruch doof und manchmal finde ich ihn so geistreich, dass ich ihn für einen Impuls nutze. An diesem Tag lachten mich auf meinen Tageskalender vier Smileys in ganz unterschiedlicher Form an:

Über diesen Spruch musste ich zunächst selbst einen kurzen Moment nachdenken, dann wurde mir der tiefere Sinn aber schnell deutlich, und ich entschloss mich, meine Gedanken mit Ihnen zu teilen.

Keine Frage: In der heutigen Zeit haben Emojis und die vielfältigsten Formen von Smileys viele gute Funktionen, zum Beispiel ist es viel einfacher, einen Smiley zu senden als nach den richtigen Worten zu suchen. Weil man oft die richtigen Worte nicht gefunden hat, blieb früher vieles unausgesprochen, was heute durch einen Smiley, einen lachenden zum Beispiel oder einen Smiley mit Herzen in Augen, schnell und unkompliziert ausgedrückt werden kann. Feedback ist also sicher häufiger geworden als das früher ohne Smileys der Fall war. Früher musste man oft auch auf die passende Gelegenheit warten, bis man mal wieder mit dem anderen sprach, angerufen hat oder im Extremfall sogar einen Brief geschrieben hat. Heute, mit den modernen Kommunikationsmöglichkeiten, geht das alles sofort, Feedback wird sehr schnell gegeben. Reaktionen gehen innerhalb von Sekunden durch die ganze Welt und dazu sind Smileys und Emojis natürlich wunderbar und auch ich nutze sie häufig.

Feedback ist auch viel vielfältiger und differenzierter geworden, denn wir haben für nahezu jedes Gefühl einen unterschiedlichen Smiley. Aber mal ganz ehrlich: Wenn sie z.B. bei Whatsapp auf die Smiley-Funktion drücken, können Sie dann sagen, für welches Gefühl die ganzen Smileys stehen? Ich kann das nicht. Ich habe vielleicht vier oder fünf Smileys, die ich häufig verwende und für meine Zwecke reichen diese auch aus. In vielen Fällen finde ich Smileys also wunderbar und sehr hilfreich.

Aber wie alles auf der Welt haben auch sie ihre Nachteile, denn z.B. ist die Hemmschwelle viel niedriger geworden, weil man einfach auf einen solchen Smiley tippen und ihn abschicken kann. Damit geht heute auch viel mehr negatives Feedback durch die Welt und dies oftmals in einer Art und Weise, wie es wenig angemessen und gerechtfertigt ist. Schließlich wissen wir nicht, wie der Empfänger mit unserem Feedback umgeht, denn wir können seine Reaktionen nicht sehen – wir sind ja nicht dabei. Smileys werden in der Regel in elektronischen Medien eingesetzt und dabei sehen wir natürlich unser Gegenüber nicht. Wir können also auch viel Schaden anrichten, gerade mit den negativen Smileys.

Feedback ist auch viel oberflächlicher geworden, denn wenn ich zum Beispiel weiß, dass mein gegenüber egal, was ich schicke, immer einen Smiley mit Herzchen in den Augen zurückschickt, dann ist sein Feedback irgendwann auch nichts mehr wert. Wenn das Feedback so schnell kommt, dass ich schon weiß, dass er oder sie meine Nachricht noch gar nicht gelesen haben kann, dann ist kein Tiefgang mehr vorhanden. Und, seien wir ehrlich: Hat wirklich so ein Emoji die gleiche Wirkung, als wenn Sie zum Telefonhörer greifen und Ihrem gegenüber sagen, wie klasse Sie z.B. seine Ausarbeitung fanden? Ist es wirklich die gleiche Wertschätzung, wenn Sie Ihrem Chef eine Unterlage geschickt haben, und der schickt per Email einen lachenden Smiley zurück, oder er ruft sie an und sagt: „Ich habe Ihren Bericht gelesen, den fand ich richtig gut. Man merkt, wieviel Mühe Sie sich gegeben haben, den kann ich so in meine nächste Sitzung mitnehmen und werde ihn dort vortragen. Herzlichen Dank für Ihre gute Arbeit.“ Erzielt der Smiley tatsächlich die gleiche emotionale Wirkung? Ich glaube das nicht.

Unsere Emojis machen es also auch unpersönlicher und das gilt sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext. Dann kommt noch dazu, dass wir gar nicht einschätzen können, ob unsere Emojis immer die gleiche bzw. die beabsichtigte Wirkung erzielen, weil es auch sehr von der aktuellen Stimmung des Feedbackempfängers abhängt. Ob er das jeweilige Emoji gerade gut findet und es ihn motiviert oder ob es gerade vielleicht ganz an ihm vorbeigeht oder sogar die gegenteilige Wirkung hervorruft, hängt auch von der momentanen Verfassung des Gegenübers ab.

Deswegen sollten wir Emojis dosiert einsetzen und dazu noch ein Gedanke: Leider wird auch sehr viel persönlicher Kontakt heute durch Emojis ersetzt. Es wäre möglich, einfach mal im Büro nebenan vorbeizugehen und dem Kollegen zu sagen: „Das fand ich Klasse!“, oder vielleicht auch Kritik zu überbringen, aber persönlich, sachlich und im Dialog, anstatt die schnelle negative Bewertung in Form eines Emojis zusenden. Es bleibt heute also viel persönlicher Kontakt auf der Strecke, weil es so viel einfacher ist, die schnelle elektronische Rückmeldung zu schicken.

Das gilt übrigens auch im privaten Bereich. Ist es wirklich das gleiche, ob Sie einen Smiley mit zwei Herzchen und vielleicht noch zwei Herzen dazu schicken oder ob Sie vorbeifahren und denjenigen mal wieder in den Arm nehmen und fest an sich drücken? Auch wenn das vielleicht gerade in Zeiten von Corona nicht die präferierte Umgangsform ist, denken Sie mal daran, welche andere Wirkung zum Beispiel in der Familie ein persönlicher Besuch haben kann. Bei Mutter oder Vater vorbeizufahren und einfach mal den anderen in den Arm zu nehmen, anstatt nur abends ein „ich hab‘ Dich lieb“ und einen Smiley zu schicken. Das gilt natürlich auch für Kinder und jegliche anderen guten Freunde und Verwandte.

Es stellt sich also die Frage: Ist es ein Fluch oder ein Segen mit den ganzen Smileys und Emojis, die wir heute haben?

Wenn Sie schon häufiger meine Impulse gelesen haben, dann wissen Sie sicher, dass ich nicht zu denen gehöre, die bei solchen Fragen zu eindeutigen Bewertungen kommen. Die Welt ist viel zu vielfältig, und so ist es auch mit den Smileys und Emojis.

In vielen Fällen sind sie gut hilfreich und wir sollten sie nutzen. Sie sind ja aus unserem Leben auch gar nicht mehr wegzudenken. In vielen Fällen machen wir es uns aber auch zu einfach, wenn wir nur einen Smiley oder ein Emoji schicken, anstatt den Dialog zu suchen. Deswegen: Beides einsetzen, persönliches Feedback ebenso wie Smileys und Emojis. Ich glaube, die Kombination ist der richtige Weg.

Nun muss natürlich jeder für sich differenzieren: Wann suche ich den persönlichen Kontakt, wann reicht so ein Emoji? Wann geht es vielleicht auch gar nicht persönlich und wann ist so ein Smiley besser als gar nichts? Wann sollte ich es aber unbedingt persönlich tun und ein Smiley ist vielleicht sogar die völlig falsche Ausdrucksform meines aktuellen Feedbacks?

Das sind ja vielleicht auch Gedanken, die Sie sich an diesem Wochenende einmal machen können. Bei wem hätten Sie schon längst einmal wieder vorbeifahren sollen, um in den Arm zu nehmen und persönlich zu ihm zu sagen: „Ich hab‘ dich lieb!“

Wem sollten Sie unbedingt mal wieder ein persönliches Feedback geben, weil Sie seine Arbeit so schätzen und es ohne ihn oder sie viel schwieriger für Sie wäre?

Bei wem haben Sie sich vielleicht schon sehr lange gar nicht mehr gemeldet und eine kurze Botschaft über die Technik mit einem schönen Emoji, dass Sie sich sorgfältig ausgesucht haben, könnte eine positive Wirkung erzielen?

Von wem haben Sie zuletzt ein paar Emojis geschickt bekommen, über die Sie sich sehr geärgert haben? Wäre es nicht gut, darüber zu sprechen, bevor sich irgendetwas hochschaukelt?

Viele Fragen, mit denen ich Sie jetzt ins Wochenende entlasse und Ihnen viel Spaß beim Nachdenken wünsche.

Ein wunderbares Wochenende!