Der MP Impuls zur Selbstreflexion vom 18.02.2023

Mein Klient wirkte schon am Telefon angeschlagen.
„Wie geht’s“? , fragte ich ihn freudig und zurück kam nur ein gequältes: „Geht so.“

So ließ denn unser nächster Coachingtermin auch nicht lange auf sich warten. Dem engagierten jungen Mann, Teamleiter in einem mittelständischen Unternehmen, finanzierte sein Chef ein Coaching, weil er einer seiner Leistungsträger wahr, sehr engagiert und loyal und sein Chef ihn unbedingt langfristig an das Unternehmen binden wollte.

In seinem Coaching wollte er mehr zu sich finden, um damit die Belastungen noch besser steuern zu können, insgesamt ausgeglichener zu sein und zu wirken. Wir waren auch schon gut vorangekommen und der schon am Telefon spürbare Rückschritt passte nicht so recht ins Bild.

Mit gesenktem Blick saß er also einige Tage später in meinem Coachingraum und sprudelte los:
„Ich schaffe gerade nix weg, ich komme gar nicht zu meiner Arbeit. Alle wollen etwas von mir und mit meiner Kollegin von der Beschaffung bin ich auch schon wieder „zusammengerauscht“. Die kriegt einfach die Dinge nicht auf die Reihe und löchert mich ständig mit Fragen. Mein Chef sorgt auch nicht für Klarheit, der müsste mal eine Ansage machen.“

Immer noch viel es meinem Klienten schwer, mich anzusehen und so fragte ich nochmal nach: „Ok, da gibt es also auf der Arbeit ein paar Rückfälle in alte Muster, das hatten wir ja alles schon einmal. Ist noch was, vielleicht im privaten Bereich?“

„Ja, das auch. Meiner Mutter geht es nicht gut, ich habe gerade viel zu organisieren und ich ärgere mich über meine Schwester, die kümmert sich um nichts. Alles bleibt an mir hängen. Und um ehrlich zu sein, am meisten ärgere ich mich über mich selbst – ich war durch unsere Coachings auf einem so guten Weg und jetzt fühlt es sich an, als hätte ich bislang gar keine Fortschritte gemacht. Das macht mich traurig und wütend.“

Nun lagen die Themen also auf dem Tisch und ich kannte sie alle bereits aus früheren Coachingsitzungen, was mich beruhigte. Mein Klient hatte so etwas wie einen „Rückfall“ in alte Verhaltensweisen und das möchte ich keinesfalls abtun. Für ihn war das eine schwierige Situation, mich aber beruhigte, dass keine neuen Baustellen aufgetaucht waren. Die hohen eigenen Ansprüche taten ihren Teil dazu, denn Rückschritte in seiner Entwicklung, so normal sie auch waren und dazugehörten, konnte meine Kunde immer nur sehr schwer akzeptieren. Der Kern aber lag wahrscheinlich mal wieder darin, dass er vergessen hatte, was ihm gut tat, der Akku war leer, so könnte man es bildhaft sagen. Ich hatte also eine Strategie.

„Ich weiß Rückschritte sind nichts für Dich, aber erinnerst Du Dich an die Grafik, die wir in einer unserer ersten Sitzungen gemalt haben?“, fragte ich ihn. Es war das simple Bild gewesen, dass sich alle Menschen für ihre Entwicklung eine linear steigende Gerade wünschen, der Verlauf meist jedoch eine heftige Zickzacklinie ist, die auch deutliche Ausschläge nach unten hat.

„Du meinst die rote gezackte Linie statt der grünen Geraden“, schmunzelte er. „Ja, ich sollte nicht so streng mit mir sein.“

Der Bann war gebrochen, sein Gesichtsausdruck hellte sich auf.
„Um ehrlich zu sein, ich würde sagen, Du bist schlicht urlaubsreif!“, rief ich ihm zu, um im Anschluss noch ein paar Fragen zu stellen.

„Wie oft hast Du in den letzten Wochen in Deinem Lieblingssessel gesessen und klassische Musik gehört?“ Das war eines seiner großen Hobbys, bei denen er sich entspannen konnte.

„Wie oft bist du spazieren gegangen und hast die Natur genossen? Wann warst Du das letzte Mal in der Sauna, die ja so magst, um Dich zu entspannen? Und wann hast Du das letzte Mal mit Deinem Kumpel an Eurem gemeinsamen Modellbauprojekt gebaut?“

Sie, liebe Leser, ahnen sicher die Antworten. In den letzten sechs Wochen hatte nichts davon stattgefunden.

Mein Klient hatte mich nun durchschaut, denn ich hatte zielgerichtet die Aspekte abgefragt, die wir in meinem ganzheitlichen Coachingansatz seinem Feld der „Ich-Zeit“ zugeordnet hatten. Also die Dinge, die er nur für sich und sein Wohlbefinden tat und die seine Kraftquellen waren. In den vergangenen Wochen hatte er ganz offensichtlich auf alle Ich-Zeit verzichtet und seine Reserven waren nun aufgezehrt. Kein Wunder also, dass er „auf dem Zahnfleisch ging“.

„Hör auf!“, blaffte er mich an und ich lächelte – Volltreffer.
„Du hast ja recht, ich habe mal wieder vollkommen vergessen, auf mich Acht zu geben und das ist das Ergebnis. Mist genau, mein altes Muster.“

Das war natürlich eine tolle Formulierung, denn wenn das sein altes Muster war, dann gab es auch ein neues und das konnten wir jetzt gemeinsam reaktivieren. Der Blick nach vorne war wieder möglich und so diskutierten wir die richtige Strategie für die nächsten Wochen.

„Für schwierige Aufgaben und Gespräche habe ich aktuell keine Kraft, ich muss erst den Akku wieder aufladen.“, so das Fazit meines Klienten.

Sein Weg war also für die nächsten zwei Wochen eine Art „Überdosis Ich-Zeit“ und ich musste gar nicht viel tun und lenkte nur mit ein paar Absicherungsfragen. Er nahm sich vor, die nächsten zwei Wochen drei Tage im Homeoffice konzentriert zu arbeiten und an allen Tagen um 16 Uhr Schluss zu machen. Er legte zwei Saunaabende ein und traf sich mit seinem Freund zu einem ausgiebigen Modellbauwochenende. Noch im Coachingraum kaufte er sich online eine neue Live-Aufnahme der Berliner Philharmoniker und strahlte bei dem Gedanken, sie bald anzuhören.

Es erschien mir zielführend, an diesem Tag nicht weiter auf die Lösungen, der natürlich noch im Raum stehenden Belastungen einzugehen. Er sollte dringend klärende Gespräche mit seinem Chef und auch mit seiner Schwester führen. Wir werden nochmal an seinen Delegationsfähigkeiten arbeiten, aber das alles hatte heute keinen Platz.

„Ok, die nächsten zwei Wochen sind also voll mit Ich-Zeit! Das gefällt mir, es klingt nach Auto an der Schnellladestation. Aber danach möchte ich Dich zeitnah wiedersehen, dann arbeiten wir an den Themen, die hinter der aktuellen Situation stehen.“, schlug ich ihm vor.

Und genau so machten wir es dann auch, wir verabredeten uns zwei Wochen später und mein Klient kam an diesem Tag ganz anders durch die Tür und so konnten wir die Themen sehr gut bearbeiten. Für diesen Impuls ist das jedoch nicht mehr von Belang.

Immer wieder erlebe ich in meiner Arbeit, dass Menschen scheinbar vergessen, auf sich Acht zu geben. Sie vergessen, was Ihnen gut tut und steigern sich in ihre Arbeit und ihre selbstdefinierten Probleme hinein. Eine Zeit lang geht das meist ganz gut, dann irgendwann fühlen sie sich vollkommen ausgelaugt und leer. Die Kräfte sind aufgebraucht und der Akku muss dringend aufgeladen werden, doch das geht nur, wenn man sich an seine Kraftquellen erinnert.

Nun also sind Sie an der Reihe:

Wenn Sie sich den eignen Kräftevorrat als Ladeanzeige eines Akkus vorstellen, auf welchem Ladezustand von 1 (so gut wie leer) bis 10 (vollständig aufgeladen) befinden Sie sich?

Wenn Ihr Akku ziemlich leer ist, sollten Sie ihn aufladen. Was sind denn Ihre Kraftquellen, die Ihnen guttun und dazu beitragen, den Akku aufzuladen?

Was davon wollen Sie zuerst angehen und wann ganz konkret?

Wovon sollten Sie aktuell eine Pause machen, um nicht noch mehr Akkuladung zu verlieren?

Brauchen vielleicht auch Sie mal wieder eine „Überdosis Ich-Zeit“?

Ich wünsche Ihnen ein schönes und entspanntes Wochenende!

New Leaders Club Podcast: Arbeitszeiterfassung als Pflichtaufgabe – ist das der richtige Weg?

Das Thema pro und contra Arbeitszeiterfassung wird aktuell intensiv diskutiert. Ist die gesetzliche Regelung sinnvoll oder sogar für viele eher demotivierend.

Kristin und ich diskutieren das Thema, das wie so oft mehr als nur eine Facette hat.

Hier ist der Link zu Spotify: New Leaders Club Podcast Folge 13

Natürlich findet Ihr uns auch auf fast allen anderen Podcast-Portalen.

Viel Spaß beim Anhören!