In seiner aktuellen Ausgabe (Nr.38 vom 12.09.2020, Seite 68f) greift Der Spiegel das Thema psychische Erkrankungen insb. von Führungskräften auf. Er nimmt Bezug auf aktuelle, noch nicht veröffentlichte Zahlen der Krankenkasse DAK. Die Steigerungen der Ausfallzeiten der verschiedenen psychischen Ursachen sind enorm und betragen jeweils mehrere hundert Prozent (2000 zu 2019). In Summe nahm die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen von 1997 auf 2019 um 239% zu, während bei den sonstigen Krankheitsursachen kein Anstieg der Fehltage zu verzeichnen war.
Die Zahlen mögen erschrecken, sind aber eigentlich “kalter Kaffee”, denn Ihrer Tendenz nach sind sie schon lange bekannt. Die DAK publiziert ihre Statisiken ja regelmäßig und so kann man auf der Webseite der DAK die entsprechenden Ergebnisse einsehen. Diese sprechen schon lange eine deutliche Sprache.
So zeigen die beiden folgenden Charts der DAK bereits für 2018 (im Bezug auf 2000) in diesem Bereich signifikante Steigerungen. Dass Führungskräfte oftmals besonders betroffen sind, vermag angesichts ihrer vielfach vorhandenen Sandwichposition mit Druck von beiden Seiten nicht zu verwundern.
Interessant sind jedoch auch zwei andere Erkenntnisse, die sich aus den DAK Zahlen gewinnen lassen: So sind offenbar Frauen signifikant häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen und fehlten fast doppelt so oft aufgrund von Seelenleiden wie ihre männlichen Kollegen. Bemerkenswert auch, dass ausgerechnet die öffentliche Verwaltung mit deutlichem Abstand die Statistik der Ausfalltage aufgrund psychischer Erkrankungen anführt. Hier waren auf 100 Beschäftigte 358 Ausfalltage zu verzeichnen, ein Wert der damit um ca. 50% über dem Mittelwert von 236 Tagen liegt.
Fragt sich also nun, was wohl aktuell für die Entwicklung dieser Zahlen zu erwarten ist? Ist vielleicht durch Corona alles besser geworden, weil im Homeoffice vieles einfacher geworden ist? Sind viele Belastungsfaktoren durch deutlich mehr virtuelles Arbeiten weggefallen? Zahlen liegen dafür natürlich noch nicht vor, aber ernsthaft erwarten kann das eigentlich niemand. Ob wir es wollen oder nicht, die Corona-Krise war sachlich ein sehr heftiger, kurzfristiger und ungeplanter Changeprozess und der Verlauf von Veränderungsprozessen ist inzwischen bekanntlich sehr gut erforscht. Die Leistungskurve geht zunächst abwärts, die Stresskurve hingegen aufwärts. Unsicherheit und Ängste können nicht positiv auf das Thema psychische Erkrankungen einzahlen.
Auch hier wird – wenig verwunderlich – ein Kermfokus wieder auf den Führungskräften liegen. Viele waren und sind mit der neuen Techik überfordert. Viele mussten plötzlich ein Führungsmodell (auf Distanz) leben, das sie nie zuvor geübt hatten. Dazu kommen immer mehr Klagen, dass es eben doch nicht so einfach ist, konzentriert zu arbeiten, wenn Ehepartner und Kinder ständig für Ablenkung sorgen und als Störfaktor der Konzentration auftreten. Thematisiert wird das freilich in den letzten Monaten häufiger, aber ich glaube, immer noch viel weniger, als es eigentlich Fakt ist. Wer räumt schon gerne eigene Defizite ein, dann doch lieber die Fassade pflegen.
Schon in der Veröffentlichung der Zahlen 2018 sagte DAK Vorstandschef Andreas Storm: “Auch Arbeitgber müssen psychische Belastungen und Probleme aus der Tabuzone holen und ihren Mitarbeitern Hilfe anbieten.” Es ist zu vermuten, dass dies heute mehr gilt, denn je!
Doch wie sieht die Praxis – jedenfalls in vielen Unternehmen – immer noch aus? Gibt es diese Hilfsangebote? Da bin ich natürlich nicht berechtigt und befähigt ein Urteil abzugeben, jedenfalls ist anzunehmen, dass das flächendeckend nicht der Fall ist. Vielmehr wird oftmals immer noch versucht, aufkommende Probleme mit “mehr vom gleichen” zu lösen, also insbesondere mehr arbeiten. Das hilft aber nicht, denn neue Herausforderungen lassen sich mit Lösungen von gestern nicht bewältigen. Und dann führt mehr arbeiten nur zu mehr Misserfolgserlebnissen, zu mehr Frust und geht auf die Psyche. Gut wäre vielmehr ein Ansatz wie er im Coaching angeraten wird: “Wenn etwas nicht funktioniert, versuche etwas anderes!” Das aber ist vielen Führungskräften unter Stress gerade nicht möglich, jedenfalls nicht alleine. Es bräuchte Hilfe und Kooperation mit anderen und das müssen nicht zwingend Externe sein.
Hilfreich könnten z.B. Mentoren sein, wenn es sie denn gibt und sie ihre Funktion auch wahrnehmen. Auch regelmäßige Kollegiale Fallberatungen, die intern moderiert werden, würden sich als Plattform für den Austausch anbieten. Viele Unternehmen haben “Buddie-Patenschaften”, also zwei KollegenInnen, die sich gegenseitig vertraulich helfen und beraten sollen, nutzen diese – gerade in diesen Zeiten – aber nicht. Jeder hat genug mit sich zu tun. Wollen wir jedoch psychische Erkrankungen reduzieren, dann ist besonders die Isolation von Führungskräften unbedingt zu vermeiden. Alleine bin ich meist verloren.
Natürlich können auch externe Partner eine Hilfe sein und da bedarf es meist keiner großen Coachingprozesse mit horrenden Budgets, wie etwa das hervorragende Format “Coaching2go” meiner geschätzten Kollegin Kristin Scheerhorn zeigt. Auch 100% meiner Klienten, die mein Kurzformat “Business-Sparring” in Anspruch nehmen, werden ihnen erklären, dass ihnen damit sehr geholfen ist. Nur alleine sollten wir die Menschen in diesen schwierigen Zeiten ganz sicher nicht lassen.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Zahlen 2020 wirklich entwickelt haben, was wir ja leider erst im Nachhinein wissen werden. Vielleicht müssen wir ja darauf auch gar nicht warten und die Unternehmen folgen dem Aufruf von Andreas Storm schon früher: “Raus aus der Tabuzone mit den psychischen Erkrankungen.”
Sie haben ganz andere Erfahrungen gemacht als ich? Sie möchten von positiven Beispielen, vielleicht sogar in ihrem Unternehmen, berichten? Oder einfach so mit mir diskutieren?
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