Der MP Impuls zur Selbstreflexion vom 03.02.2024

„Ach ja, der Perfektionist in mir“, stöhnte mein Klient verzweifelt. Und das war schon die fortgeschrittene Version, denn vor ein paar Wochen hätte er wahrscheinlich noch – sehr trotzig und zu gleich über sich selbst verärgert – gesagt: „Ich bin halt ein Perfektionist!“

Mittlerweile hatten wir schon ein paar Coachings gehabt und er konnte inzwischen gut annehmen, dass ein Teil von ihm ein Perfektionist war, aber eben nur ein Teil von ihm. Dieser Persönlichkeitsanteil ging auf einen der Antreiber zurück, die wir aus der Transaktionsanalyse kennen, den Antreiber: „Sei perfekt!“

Die verschiedenen Antreiber, die die Transaktionsanalyse beschreibt, haben wir in unterschiedlicher Ausprägung natürlich alle – jeder in seiner ganz individuellen Kombination. Sie entstehen schon in unserer Kindheit und Jugend und begleiten uns unser ganzes Leben lang. Ohne diese Antreiber ginge es auch schlecht, sie sorgen dafür, dass wir Dinge erledigt bekommen, im Leben vorankommen und erfolgreich sind.

Menschen, bei denen ein oder mehrere Antreiber besonders stark ausgeprägt sind, haben es oft nicht leicht, denn es stellt sich häufig eine innere Unzufriedenheit ein, weil sie es diesem Antreiber bzw. diesen Antreibern scheinbar nie recht machen können.

In meiner Praxis begegnen mir besonders häufig Menschen, die einen stark ausgeprägten Antreiber der Gattung „Sei perfekt!“ haben. Vielleicht hat dies nur damit zu tun, dass solche Menschen überdurchschnittlich häufig Coachingbedarf haben, da Sie allein nicht mehr aus ihrer „Sackgasse“ herausfinden. Ich weiß das nicht genau, es ist einfach ein Fakt.

„Es ist einfach nicht gut genug, das muss noch besser gehen!“

„Ich muss noch mehr arbeiten, dann wird es sicher noch besser.“

„Ich mache noch eine Fortbildung, Wissen schadet nie.“

Perfektionisten neigen aber nicht nur dazu an sich selbst Anforderungen zu stellen, die sie einfach nicht erfüllen können. Insbesondere als Führungskräfte übertragen sie diese Anforderungen auch gerne auf ihre Mitarbeitenden und die können dann meist tun, was sie wollen, es ist nie gut genug. Je nach Persönlichkeit des Chefs kommt es dann teilweise zu sehr harten Urteilen, die oft als ungerecht empfunden werden. Am besten verdeutlicht dies das Beispiel von Klaus, der eines Tages ziemlich wütend zu mir ins Coaching kam. Er warf zwei DIN A4 Seiten auf den Tisch und sagte: „Da, lies Dir den Scheiß durch, den mein Mitarbeiter geschrieben hat. Alles voller Fehler, dem habe ich den Marsch geblasen… .“

Ich las den Text und fand – ziemlich zum Ende von Seite zwei – tatsächlich einen Kommafehler… .

Natürlich gibt es Situationen, in denen sind wir alle froh, wenn Perfektionisten am Werk sind: Fluglotsen im Tower, Herzchirurgen am OP-Tisch, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Im täglichen Leben aber würde uns oftmals etwas mehr Gelassenheit sehr guttun. Für ganz viele Konstellationen sind 80%-Lösungen völlig ausreichend und machen das Leben so viel leichter. Diejenigen unter Ihnen, die auch betriebs- oder volkswirtschaftlich etwas bewandert sind, werden zustimmen, dass die perfekte Lösung häufig auch einfach schlicht zu teuer oder zu aufwendig ist – die Stichworte für Experten lauten abnehmender Grenznutzen und Pareto-Optimum.

Wer jedoch einen sehr starken inneren Antreiber aus der Kategorie „Sei perfekt!“ hat, für den ist es natürlich schwer, mit 80%-Lösungen zufrieden zu sein. Gerade deshalb ist der Spruch, den ich diesem Impuls vorangestellt habe, vielleicht ein wunderbarer „Erlauber“ für solche Menschen:

„Entschuldigung, es ist mein erstes Leben, ich übe noch.“ Da muss man dann auch nicht perfekt sein.

Überhaupt: Ist perfekt sein nicht ein furchtbarer Gedanke? Was kommt danach, wenn der Zustand der Perfektion – vielleicht sogar dauerhaft – erreicht ist? Es gibt keine Ziele mehr, Sie können nicht mehr besser werden. Sie gewinnen immer, aber es ist nichts mehr wert, denn es gibt ja keine adäquate Konkurrenz. Sie werden sehr einsam werden, denn wer will schon mit jemandem zusammen sein, der immer perfekt ist? Und überhaupt, was ist Perfektion noch wert, wenn sie dauerhaft erreicht ist? Als Dartsspieler könnte ich sagen: Stell Dir vor, alle Legs wären 9-Darter (das perfekte Spiel)! Leuchten Ihre Augen, nein sicher nicht. Binnen Minuten wäre das sehr langweilig. Perfektion hat nur deshalb einen Wert, weil Sie meist nicht erreicht wird.

Und Sie? Wie halten Sie es mit der Perfektion?

Haben Sie einen Beruf oder ein Hobby, in dem Perfektion unbedingt erforderlich ist?

Kennen Sie jemanden, der sich aufgrund seines Perfektionsstrebens schon einmal selbst „im Weg gestanden hat“?

Falls Sie mal selbst in eine Art Perfektions-Sackgasse geraten sollten (nur mal angenommen), welcher Satz könnte Ihr „Erlauber“ sein, um aus dieser wieder herauszukommen?

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

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