Als die Familienrichterin die Ehe meines Klienten nach 5 Jahren für geschieden erklärte, hatte ich die Hoffnung, dass diese Verkündung wie eine Befreiung auf ihn wirken würde. Meine Hoffnung, dass er fortan den Kopf für Neues frei haben würde, erfüllte sich nicht.
Ihn bewegten viele Fragen und er könnte sich gedanklich nicht lösen. Die ersten Jahre seiner Ehe schilderte er mir als sehr glücklich. Er hatte mit Ende 40 spät geheiratet, Kinder waren aus seiner Ehe nicht hervorgegangen. Sie waren gemeinsam aufs Land gezogen und er hatte lange Arbeitswege auf sich genommen und war täglich gependelt. Die ersten Jahre waren harmonisch und er entdeckte neue Seiten an sich, entdeckte die Natur und schien anzukommen.
Ich hatte mit diesem Mandat im Grunde längst abgeschlossen, doch irgendwann rief mich mein Kunde an, weil seine Frau einen anderen kennengelernt habe. Details spielen hier keine Rolle. Es kam zur Trennung und schließlich zur Scheidung, wobei seine Frau in ihrem Leben damit zum zweiten Mal ziemlich exakt den gleichen Ablauf durchlebte, denn einige Jahre zuvor war mein Klient „der Neue“ gewesen.
Fälle dieser Art erleben wir bei einer Scheidungsquote von um die 50% natürlich häufig und die Scheidung ist auch nur ein Beispiel für ein Lebensereignis, das uns vor Herausforderungen stellt. Wir können Ereignisse dieser Art in unserem Leben nicht verhindern, aber wir können lernen mit Ihnen umzugehen.
Ich versuchte meinem Klienten zu helfen, einen Abschluss zu finden, sich wieder auf sich selbst zu besinnen und herauszufinden, was er jetzt braucht. Es fiel ihm sehr schwer. Unbedingt wollte er verstehen, warum alles so gekommen war. Er wollte verstehen, was seine Frau bewegt hatte, so zu handeln und ihn zu verlassen. Er war zutiefst verletzt, keine Frage.
„Ich weiß, ich muss mich um mich kümmern“, sagte er am Ende einer Cochingsitzung und ich bat ihn zu beschreiben, was das konkret bedeutet. Das konnte er gut und ich war voller Hoffnung, dass er nach dem Umzug zurück in seine Heimatstadt wieder in seinem alten Leben Fuß fassen würde. Als ich ihn einige Wochen später wiedersah, war leider das Gegenteil der Fall. Er hatte seine Schwiegereltern besucht, sich mit Bekannten am alten Wohnort getroffen und ähnliches. „Was hast Du Neues unternommen?“, fragte ich ihn, bekam aber keine Antwort.
Wenn es uns nicht gelingt, abzuschließen, ist es schwer etwas Neues zu beginnen. Wir müssen akzeptieren, dass es manchmal Dinge gibt, die wir nicht verstehen können. Dabei ist der Wunsch, die Dinge verstehen zu wollen, weil es dann einfacher ist, sie zu akzeptieren, völlig verständlich. Aber es ist nicht immer möglich – manche Dinge werden wir nicht verstehen können. Wir müssen sie trotzdem akzeptieren. Erst wenn wir ein Kapitel in unserem Leben abschließen, sind wir offen für ein neues, welches wir voller Elan aufschlagen können. Einen Abschluss zu finden ist nicht immer leicht, aber sehr wichtig. Es macht keinen Sinn, immer weiter zu hoffen und zu warten, ob wir die Dinge irgendwann verstehen können. Manchmal ist es notwendig zu akzeptieren, dass sie für uns nicht zu verstehen sind. Ansonsten verharren wir, fühlen uns schlecht und die Zeit arbeitet gnadenlos gegen uns. Damit ist nichts gewonnen.
Mein Klient arbeitet noch an diesem Abschluss und dem neuen Blick nach vorn. Er macht gute Fortschritte und ich bin sicher, er wird bald offen sein, ein neues Lebenskapitel zu eröffnen. „Du hast Recht, ich muss abschließen“, sagte er vor kurzem zu mir. Wir sprachen über Rituale, die ihm helfen könnten. Vielleicht ein Buch, in dass er seine Gedanken schreiben kann, um es dann ganz bewusst zuzuschlagen und ins Regal zu stellen. Im Regal unseres Lebens stehen viele Bücher, die wir einmal geschrieben oder in denen wir gelesen haben. Manche holen wir irgendwann vielleicht wieder hervor, andere bleiben für immer dort stehen. Sie sind wertvoll, aber sie bleiben geschlossen.
Auch andere Möglichkeiten wogen wir ab – mal sehen für welche er sich entscheidet.
Jetzt zu Ihnen: Welches Kapitel Ihres Lebens möchten Sie abschließen? Woran halten Sie schon viel zu lange fest, obwohl es Sie nur noch belastet? Was versuchen Sie zu verstehen und zerbrechen sich schon lange den Kopf, ohne dass Ihnen das Verstehen gelingt?
Welches Buch gehört geschlossen und ins Regal Ihres Lebens gestellt?
Finden Sie einen Abschluss, auch wenn Sie nicht alles verstehen können, nur so sind Sie wirklich bereit für neue spannende Erlebnisse und Erfahrungen. Bereit, diese mit allen Sinnen zu erleben und zu genießen.
Denken Sie daran:
Heute ist immer der Tag, an dem Zukunft beginnt.
Und nur die Zukunft können Sie gestalten, die Vergangenheit ist vorbei.
Viel Spaß dabei und ein schönes Wochenende!